Erfrorene Rosen
überschüttet wird, und so weiter.«
Olli begreift nichts. Was soll dieses boshafte Treiben? Das klingt nicht nach dem Mann auf dem Bild, sondern eher nach den Streichen einer Bande dummer Jungs.
»Hast du dir je überlegt, was für ein Schaden entsteht, wenn ein voll besetzter Bus morgens früh mitten auf der Strecke stehen bleibt und nicht weiterfahren kann?«
Nein, darüber hat Olli nie nachgedacht.
»Der Bus fährt nicht weiter, also kommen keine Fahrgelder herein. Das ist noch gar nichts. Aber was ist mit den Fahrgästen? Sie verspäten sich, und zwar nicht nur die, die schon im Bus sitzen, sondern auch alle, die an den nächsten Haltestellen warten. Die Anzahl der Verspäteten wächst sehr schnell. Die Leute kommen, sagen wir mal, eine Stunde zu spät zur Arbeit. Das wiederum wirkt sich auf die Tätigkeit ihrer Kollegen aus. Es gibt Menschen, ohne die es mit der Arbeit gar nicht losgeht, ein Geschäft kann nicht pünktlich öffnen und so weiter. Das ist eine endlose Kette, eine Lawine, die immer größer wird und richtig viel Geld kostet.«
»Und du bist der Meinung, der Typ auf meinen Fotos steckt erstens hinter alldem und ist zweitens für die Bombendrohung verantwortlich?«
»Gut möglich.«
»Wie kommst du darauf?«
Der Vater legt eine schöpferische Pause ein, wie um sicherzustellen, dass er seine Vision möglichst eindrucksvoll vorbringt. Dann sagt er langsam und mit Nachdruck: »Es geht hier um Terrorismus.«
»Terrorismus?!«
»Genau. Die IRA zum Beispiel hat sich mitunter dieser Taktik bedient.«
»Taktik? Was denn für eine Taktik? Busreifen aufschlitzen?«
»Nein, haltlose Bombendrohungen. Die Reifen und all das andere sind taktischer Vandalismus.«
»Taktischer Vandalismus?«
Der Vater seufzt. Muss er seinem Sohn, der immerhin angehender Polizist ist, alles von Grund auf erklären?
»Das ist ein ganz normaler Teil terroristischer Aktivitäten. Man verübt kleinere und harmlosere Taten, sozusagen als Training, bevor man zum eigentlichen Schlag ausholt. Und die IRA hat schon vor ewigen Zeiten erkannt, dass man auch mit leeren Drohungen großen Schaden anrichten kann. Man musste gar nicht jedes Mal ein Auto mit Dynamit vollstopfen, was riskant und schwierig war. Eine telefonische Drohung genügte. Nur wenn es mal nötig war, mehr Wind zu machen, ließ man es knallen.«
»Glaubst du, dass unser Typ vorhat, mehr Wind zu machen?«, fragt Olli zögernd.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht. Vielleicht reicht es ihm zu wissen, wie viel Schaden und Chaos er anrichten kann. Hoffen wir es.«
Der Vater nimmt das Polizeifoto, das Olli mitgebracht hat, noch einmal in die Hand. Beide betrachten die Gestalt im Bildhintergrund. Olli spürt, dass sein Vater notfalls die linke Kammer seines schwarzen Herzens für den Beweis hergeben würde, dass der Mann auf dem Foto derjenige ist, nach dem er sucht.
»Vielleicht ist er immer zur Stelle, wenn etwas passiert. Er will miterleben, was er angerichtet hat. Erst dann ist es real für ihn. Deshalb kann es sich bei diesem Mann durchaus um den Täter handeln.«
»Und warum tut er so was?«
Der Vater schüttelt den Kopf. Letzten Endes hat er keine Ahnung. Und das quält ihn. Er hat sich schon so lange mit dieser Geschichte herumgeschlagen und begreift sie immer noch nicht ganz.
Olli glaubt nun zu verstehen, weshalb sein Vater ihn in seiner Bude besucht, rätselhafte Andeutungen gemacht und ihm den Keim seines Verdachts in den Kopf gesetzt hat. Der Alte wusste nicht mehr weiter, er hat Hilfe gesucht. Egal von wem. Selbst Olli war ihm gut genug, mit seiner Verbindung zur Polizei. Olli lacht leise auf. Sein Vater hat sich kein bisschen verändert. Er war nicht etwa gekommen, um sich mit seinem Sohn auszusöhnen, sondern um ihn auszunutzen. Diese Erkenntnis erfüllt Olli mit Zufriedenheit. Alles ist beim Alten, er braucht seine Beziehung zu seinem Vater nicht zu überdenken.
»Ich bin sicher, dass er weitermacht und dass die Anschläge immer gefährlicher werden. Der Kerl ist nicht ein einziges Mal rückwärtsgegangen«, brummt der Vater und vertieft sich wieder in seine Karten.
Keine kleinere Münze als ein Penni, kein kleineres Licht als ein Polizist. Olli betrachtet den gestickten Sinnspruch, der hübsch eingerahmt an der Wand von Ilomäkis Arbeitsecke hängt, und überlegt, was dieser alte Spruch mit Ilomäki zu tun hat.
»Grüß dich.«
»Hallo«, antwortet Ilomäki zerstreut, doch als er merkt, wer da an seinem Schreibtisch steht, blickt er
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