Erfrorene Rosen
er im Moment nicht gewachsen. Von irgendwoher kommen Geräusche. Allem Anschein nach aus einer Küche. Auf dem Sofa findet Olli seine Hose. Die Brieftasche ist nach wie vor da, auch ein wenig Geld steckt noch darin. Olli versucht, möglichst schnell in die Hose zu schlüpfen, doch das eine Hosenbein ist verdreht, der Fuß will um nichts in der Welt hindurch. Er muss in aller Ruhe einen neuen Versuch starten.
Die Wohnung wirkt auf den ersten Blick ausgesprochen gemütlich. Sie ist von Leben erfüllt, man spürt, dass die Menschen, die hier wohnen, füreinander da sind. Vielleicht ist sie ein Zuhause, wie Olli es sich als Kind gewünscht hat.
Plötzlich kommt eine Frau herein und durchquert das Wohnzimmer mit raschen Schritten. Olli erstarrt.
»Guten Morgen.« Die Frau grüßt Olli fröhlich wie einen alten Bekannten und geht durch die Tür am anderen Ende des Zimmers hinaus.
Erst jetzt bringt Olli eine undeutlich gestammelte Antwort zustande. Die Frau ist ihm unbekannt. Er könnte auf die Bibel schwören, dass er sie nie zuvor gesehen hat. Aber ganz offensichtlich befindet er sich in ihrer Wohnung.
Im nächsten Moment kommt die Frau zurück, geht wieder an Olli vorbei und schenkt ihm ein bezauberndes Lächeln. Selbst der Schnapsgeruch, den er verströmt, scheint sie nicht abzustoßen. Sie ist einfach herzig. Und verschwindet unverzüglich in dem Teil der Wohnung, aus dem sie ursprünglich gekommen war.
»Au verdammich!«, flucht Olli leise und versucht verzweifelt, Klarheit über seine Lage zu gewinnen. Was hat er seinem Leben, sich selbst und womöglich dieser Frau angetan? Vielleicht wäre es das Beste, einfach zu verschwinden. Seine Kleider und Siebensachen aufzusammeln und zu gehen, ohne sich umzublicken. Aber ist er dazu fähig? Oder wird dieses Wohnzimmer ihn für den Rest seines Lebens verfolgen?
An der Tür erscheint eine kleine Gestalt. Der Junge mit dem Schlapphut späht neugierig herein. Nun steht Olli unter Beobachtung, die Chance, heimlich abzuhauen, ist vertan.
»Morgen!«, schallt es hinter ihm.
Vor Schreck macht sich Olli fast in die Hose. An der anderen Tür steht Tossavainen höchstpersönlich. Olli starrt ihn an wie eine Sagengestalt, lacht dann nervös auf. Bei Tossavainen ist er, klar, wo sonst? Aber wie ist er hier gelandet? Ursprünglich war er doch in eine Kneipe gegangen. Hatte dringend einen Schnaps gebraucht, nachdem Ilomäki ihn zusammengestaucht hatte. Er hat allein in der Kneipe gehockt, allein mit seinen Gedanken. Da war kein Tossavainen gewesen. Oder vielleicht doch, wenn er genauer nachdenkt. Olli ist wütend auf sich selbst. Wenn er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt, was äußerst selten vorkommt, rückt er jedes Mal ein Stück näher an seinen Vater heran, kommt dem Baum, von dem er stammt und um den er einen weiten Bogen schlagen müsste, bedenklich nahe.
»Wieso …«, beginnt Olli.
»… bist du hier?«, ergänzt Tossavainen leicht belustigt. »Ich hab dich hergebracht. Du hast mich doch gegen zwei angerufen und darauf bestanden, dass ich zu dir in die Bar komme. Und ich habe dir gehorcht.«
»Wirklich?«
Eigentlich begreift Olli erst jetzt richtig, dass er in Tossavainens Wohnung ist. Und nicht nur das überrascht ihn. Tossavainen selbst ist eine Überraschung. Offenbar hat er eine Frau und Kinder. Das hätte Olli nie gedacht. Eigentlich hatte er sich nicht einmal vorstellen können, dass Tossavainen überhaupt ein richtiges Privatleben hat. Inzwischen hat der Junge schon den Kopf ins Zimmer gesteckt, zieht sich aber blitzschnell zurück, als er Ollis Blick auffängt.
»Das ist Pekka«, sagt Tossavainen, der Ollis Verwirrung spürt. »Und das hier ist Liisa«, fügt er hinzu und nimmt ein kleines, knapp zweijähriges Mädchen auf den Arm.
Liisas schulterlange Haare sind am Hinterkopf verwuschelt. Sie trägt nur ein T-Shirt und eine Unterhose und sieht Olli neugierig und ein wenig ängstlich an.
Und Tossavainen selbst? Die unbefristete Krankschreibung hat Olli zu der Annahme verleitet, er sei psychisch schwer angeknackst, doch der Mann wirkt keineswegs wie ein Wrack. Er benimmt sich, als wäre nichts geschehen. Aber in einem Zuhause wie diesem, das von morgens bis abends nach frischem Gebäck und liebevoller Anteilnahme duftet, kann man wohl gar nicht aus der Bahn geworfen werden.
Tossavainen entwirrt Liisas Haare, dann setzt er die Kleine ab. Sie schlägt einen weiten Bogen um Olli, als sie in die Küche flitzt. Die beiden Männer sehen ihr nach.
»Ein
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