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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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interessant wie seit Langem kaum etwas.
    Wie zu erwarten, bleibt die Frau in der Kosmetikabteilung stehen und befingert den billigen Schmuck, der an einem turmartigen Ständer hängt. Der Mann sucht sich einen neuen Posten in ihrer Nähe. Er schmunzelt. Darüber, dass scheinbar geringfügige Dinge sich als schicksalhaft erweisen können. Dass das ganze Leben eine Kette von Zufällen ist. Hätte die Dame vielleicht doch lieber einen anderen Mantel anziehen sollen, einen blauen vielleicht? Oder wäre sie besser zu Hause geblieben, wo sie doch ohnehin keinen wirklichen Grund hatte, in die Stadt zu gehen? Hätte sie ahnen können, dass ihr ausgerechnet der gelbe Mantel zum Verhängnis wird?
    Der Mann sieht sich um, vergewissert sich, dass niemand auf ihn achtet. Dann nimmt er die Frau ins Visier. Das Fadenkreuz zielt auf den Kopf der Frau, verharrt dort und wartet auf den richtigen Moment. Die Frau hält einen Ohrring in der Hand, streicht mit dem Daumen prüfend darüber, blickt dann auf und lässt den Blick kurz in die Ferne schweifen. Da drückt der Mann auf den Auslöser seiner Kamera.
     

    Gummibeschichtete Baumwollhandschuhe.
    Tossavainen hat den Kopf schräg gelegt und betrachtet sie. Dabei knetet er die Unterlippe zwischen den Fingern. Hinter ihm im Sozialraum des Polizeigebäudes liegt Olli, die Füße an die Wand gestützt, auf dem Sofa. Er schläft nicht, sondern versucht, sich in eine Art Trance zu versetzen, in der alles andere verschwindet und nur die Gedanken bleiben. Den Schwebezustand, in dem sein Bewusstseinsstrom ungehindert fließt, erreicht er erfahrungsgemäß nur in der Horizontalen.
    Tossavainen lässt seine Lippe los und will nach den Handschuhen greifen, überlegt es sich aber anders. Er fällt zurück in die Position, aus der er sich gerade aufgerichtet hat. Wieder liegt sein Kopf schräg, diesmal jedoch zur anderen Seite. Sein Blick ruht nach wie vor auf den Handschuhen.
    »Wovor hast du Angst?«, fragt er plötzlich.
    Olli nimmt die Hand von der Stirn. Sie verharrt unnatürlich steif über seinem Kopf.
    »Ich?«
    »Ja, du.«
    »Angst?«
    »Genau. Vor irgendwas hat doch jeder Angst.«
    »Ich weiß nicht«, stammelt Olli und legt die Hand wieder auf die Stirn, von wo sie nach unten rutscht, über die Augen.
    »Vor den Morgen«, antwortet er, nachdem er eine Weile überlegt hat.
    Die Antwort überrascht Tossavainen. Er runzelt die Stirn, blickt von den Handschuhen auf und dreht sich um, sieht Olli aber nicht direkt an. »Vor den Morgen?«
    »Na ja, ich fürchte mich davor, eines Morgens aufzuwachen und zu merken, dass ich nichts zustande gebracht habe. Dass alles, was ich getan habe, völlig unnütz war, bedeutungslos, und dass es zu spät ist, daran noch etwas zu ändern. Ich fürchte mich vor dem Morgen, an dem mir klar wird, dass ich an einem wichtigen Kreuzweg meines Lebens die falsche Richtung eingeschlagen habe.«
    Tossavainen denkt eine Weile über diese Antwort nach, brummt etwas vor sich hin und nickt zustimmend. Er scheint Ollis Gedankengang zu verstehen, hat sich vielleicht selbst schon mit dem Thema herumgeschlagen.
    »Bist du deshalb zur Polizei gegangen?«
    Olli hätte sich denken können, dass es dazu kommen würde. Dass er wieder einmal erklären muss. Eine ordentliche Erklärung hat er bisher noch niemandem gegeben, nicht einmal Anna. Aber dies hier ist eine andere Situation, eine ganz und gar neue. Denn Olli merkt plötzlich, dass er versteht, worauf sein Streifenkollege hinauswill. Gleichzeitig erkennt er die Bedeutung von Ehrlichkeit, Treue und Zuverlässigkeit.
    »Ich wäre gern … glücklich«, bekennt er zögernd, zugleich aber fast wütend. Als hätte ihm das Wort glücklich die Zunge gespalten.
    »Bist du es denn nicht?«
    »Ich weiß nicht. Oder ja, schon, aber auch wieder nicht. Vielleicht.« Olli windet sich. Er weiß nicht, wie er erklären soll, was er meint. Durchaus möglich, dass er sich lächerlich macht, dass er sich etwas wünscht, was es gar nicht gibt. Aber er hat beschlossen, mutig zu sein. Koste es, was es wolle.
    »Weißt du Unglücklicher nicht, was es bedeutet, glücklich zu sein?«, fragt Tossavainen und sieht Olli verwundert an.
    »Vielleicht nicht«, erwidert Olli zögernd, als wäre er sich nicht sicher. Das stimmt allerdings nicht. Eher könnte man sagen, dass er nur allzu gut weiß, was Glück bedeutet. »Ich kann nicht glücklich sein, bevor ich meinen Platz in diesem System gefunden habe. Wenn jemand fragt, was ich zu tun habe, dann muss ich

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