Erfrorene Rosen
richtigliegen, dann …« Kylmänen bricht mitten im Satz ab, vielleicht, weil er es nicht wagt, seine Prognose laut auszusprechen.
Sie alle wissen, dass der Täter nicht zurückweichen wird. Die Sprengung des alten Hauses war nur eine Ouvertüre. Ein Fanfarenstoß, mit dem der Täter seine Ankunft verkündet hat. Nun gibt es kein Zurück mehr. Die Anschläge werden spektakulärer werden, denn der Attentäter hat sein Statement noch nicht abgegeben, hat noch keinen Punkt hinter das gesetzt, was er zu sagen hat. Aber wo verläuft die Grenze? Wohin führt das alles? Wie sieht der Schlusspunkt aus?
Kylmänen mustert Olli und Tossavainen grübelnd und sieht schon bald, dass Tossavainen ihm seine Gedanken am Gesicht abgelesen hat. Olli fühlt sich von diesem stummen Gedankenaustausch restlos ausgeschlossen.
Kylmänen und Tossavainen sind alte Bekannte. Waren zusammen auf der Polizeischule und haben sich schon damals gut verstanden. Vieles haben sie miteinander erlebt, auch wenn sie später verschiedene Wege gegangen sind. Wer von ihnen letzten Endes besser gefahren ist, wüssten sie wohl beide nicht zu sagen. Natürlich ist Tossavainens momentane Situation nicht beneidenswert. Sicher würde er beinahe alles dafür geben, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte und im Birkenwäldchen eine zweite Chance bekäme. Kylmänen kann sich denken, wie sein alter Kumpel sich fühlt, und er möchte ihm helfen.
Die Krankschreibung ist nichts für Tossavainen. Wenn er zum Nichtstun verdammt ist, geht er vor die Hunde. Das ist ihm schon einmal passiert und damals war es gerade Kylmänen, der ihm wieder auf die Beine geholfen hat. Leicht war das nicht. Kylmänen weiß, dass er es beim nächsten Mal wohl nicht schaffen würde. Also muss er dafür sorgen, dass Tossavainen beschäftigt ist. Dass Ollis und Tossavainens eigenmächtige Ermittlungen bereits Ergebnisse erbracht haben, erleichtert ihm die Entscheidung. Die beiden könnten unabhängig vom Gewaltdezernat an ihrem eigenen Ermittlungsstrang weiterarbeiten. Sie haben eine Chance verdient, denn immerhin haben sich ihre bisherigen Ideen als so verdienstvoll erwiesen, dass ein Starermittler wie Ilomäki es für notwendig hält, die Früchte ihrer Arbeit für sich zu reklamieren. Natürlich ist das ein außergewöhnlicher Beschluss, denkt Kylmänen, aber womöglich zeitigt er auch außergewöhnlich gute Ergebnisse.
Siebtes Kapitel
Die Innenstadt ist überfüllt. Es ist Sonntag und die Leute sind dabei, ihn nach den Vorgaben der Marktwirtschaft zu heiligen. Seit einiger Zeit setzen sich die Kräfte des Marktes zusehends gegen die Lehren der Bibel durch. Der Handel ruht auch am siebten Tage nicht.
Allen fehlt etwas. Sie wissen gar nicht unbedingt, was ihnen fehlt, aber sie müssen einfach etwas bekommen. Die Kauflust treibt die Leute ins Zentrum. Unter ihnen ist ein Mann, dem ebenfalls etwas fehlt. Doch er wird nicht von Kauflust getrieben, er hat vielmehr eine Aufgabe zu erledigen. Eine Pflicht zu erfüllen.
Er steht unauffällig am Zeitungsständer eines großen Kaufhauses, wie in einer Flussbeuge, wo die von der Strömung angeschwemmten Abfälle zurückbleiben und in kleinen Wirbeln auf dem Wasser kreisen. Während er die vorbeidrängende Menschenmasse betrachtet, denkt er träge darüber nach, wie schwierig es ist, in einer Menge denjenigen zu erkennen, den man sucht.
Plötzlich wird er wachsam, er strafft sich merklich. Ein gelber Mantel. Der bauschige gelbe Daunenmantel scheint geradezu nach Aufmerksamkeit zu schreien. Vor allem da in absehbarer Zeit noch nicht mit Frost zu rechnen ist. Die Trägerin des Mantels entpuppt sich als Frau mittleren Alters, die offensichtlich verzweifelt darum kämpft, jugendlich zu wirken, obwohl unter dem dicken Make-up, den langen künstlichen Wimpern, der modischen Markenkleidung und dem Toupet die Wahrheit unbarmherzig ans Licht drängt. Für die Frau ist Shopping eine Obsession. Sie irrt ziellos durch die Abteilungen, befingert die Waren, die ihr auf ihrem Weg begegnen, als suche sie etwas, das ihr gehört, etwas, worauf gewissermaßen bereits ihr Name steht. Und dabei ahnt sie nicht, dass sie selbst das Objekt einer ähnlichen Suche ist.
Der Mann sieht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Frau und sich selbst oder eher zwischen dem, was sie tut, und der Situation, in der er gerade eben noch war. Man will etwas haben, scheint aber nichts zu finden. Er muss sich eingestehen, dass ihm die Frau ausgesprochen interessant vorkommt. So
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