Erfrorene Rosen
darauf antworten können. Solange ich dazu nicht fähig bin, ist es, als hätte ich mich verlaufen. Kann ein Mensch sich verirren und trotzdem glücklich sein?« Olli sieht Tossavainen an. Sein frustrierter Blick verrät, dass er sich mit dieser Frage schon lange herumgeschlagen hat. »Ich bin der Meinung«, fährt er seufzend fort, »dass man egoistisch genug sein muss, zuerst selbst glücklich zu werden, damit man andere glücklich machen kann.«
Diese Auffassung könnte man als Lebensmotto bezeichnen, doch Olli verabscheut Mottos. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei fast ausnahmslos um von anderen geprägte, auswendig gelernte Floskeln, die man als eigenen Gedanken ausgibt, um Eindruck zu schinden. Wer sich ein Motto zulegt, kann sich höchstens zugutehalten, dass er fähig ist, es halbwegs zu verstehen und etwas Eigenes darin zu finden.
»Und du meinst, der Sinn des Lebens findet sich bei der Polizei?«, fragt Tossavainen.
Olli antwortet nicht. Er wagt es nicht. Denn genau das hofft er. Manchmal hat er das Gefühl, die Polizeiarbeit sei seine einzige Chance. Aber wenn er das laut ausspricht, wird er womöglich nie finden, was er sucht.
Früher war er fest davon überzeugt gewesen, dass er nun den richtigen Weg entdeckt hat. Dass die Antworten auf seine Fragen sich tatsächlich irgendwo im Labyrinth der Polizeiverwaltung verbergen und darauf warten, gefunden zu werden. Und mehr noch. Er hat an die Vorsehung geglaubt. Hat geglaubt, die Tatsache, dass er Polizist wird, sei ein Werk der Vorsehung, sein Schicksal.
Die Tür zum Pausenraum öffnet sich. Kylmänen späht herein und betrachtet die beiden Männer. Seine Miene wirkt rätselhaft und verheißungsvoll.
Die Schiebetüren gleiten auf. Olli und Tossavainen betreten die Eingangshalle der Zentralklinik und gehen, ohne zu zögern, weiter. Wer sie sieht, erkennt sofort, dass sie nicht zu einem normalen Krankenbesuch hier sind.
Kylmänen hat im Zuge der Ermittlungen eine brauchbare und stets zuverlässige Hilfskraft eingespannt: die Bevölkerung. Irgendwo gibt es immer jemanden, der etwas Wichtiges weiß. Unter Umständen handelt es sich um eine kleine, scheinbar nebensächliche Information, die sich jedoch als das entscheidende Teil des Puzzles erweisen kann.
Deshalb hat sich Kylmänen an die Öffentlichkeit gewandt und sie über die Plage in Kenntnis gesetzt, die über die Stadt hergefallen ist. Er hat sogar das Wort Terrorist verwendet, allerdings sparsam und mit ausführlicher Begründung. Dennoch hat er damit unerhörtes Aufsehen erregt. Sein Vorgehen ist riskant und kann unvorhersehbare Folgen haben. Es schafft ein Klima teils unbegründeter Angst, kann andererseits aber der Prävention weiterer Verbrechen dienen. Denn es steht außer Frage, dass von nun an jeder Bürger der Stadt so wachsam sein wird wie nie zuvor.
Olli findet es geradezu erschreckend, dass ihre bescheidenen Ermittlungen den Anstoß zu einer derartigen Aktion gegeben haben. Er kann kaum nachvollziehen, wie es dazu gekommen ist. Zudem macht ihn das Aufsehen, das der Fall nun erregt, zusehends unsicher. Was, wenn sie sich geirrt haben? Wenn der Mann auf dem Bild doch nicht der Täter ist?
Es ist klar, dass der Weg, für den Kylmänen sich entschieden hat, allmählich Resultate erbringen wird. Er hat ein Netz ausgeworfen, in dem sich mehr Informationen sammeln werden, als man gründlich überprüfen kann. Gleichzeitig wird die Zeit immer knapper, denn man muss damit rechnen, dass der Verdächtige unter Druck gerät. Da er weiß, dass das Risiko, gefasst zu werden, wesentlich gewachsen ist, muss er das Tempo anziehen, um sein Ziel zu erreichen. Die Eile wiederum steigert die Wahrscheinlichkeit, dass er Fehler macht.
Olli zieht an der Leine, die an der Decke hängt. Die Tür zur chirurgischen Station öffnet sich. Die Männer gehen hinein und bleiben wartend vor dem Schwesternzimmer stehen. Niemand lässt sich blicken. Irgendwo läuft ein Radio. In der Luft liegt Krankenhausgeruch, eine abstoßende Mischung von Desinfektionsmitteln, menschlichen Ausdünstungen und Krankheit.
Die Krankenschwester, die am Ende des Flurs auftaucht, sieht die beiden Männer an, als wüsste sie nicht, was sie tun soll. Sie wagt sich nicht zu ihnen, irgendetwas hält sie zurück. Tossavainen eilt auf sie zu, während Olli ihm etwas langsamer folgt.
»Polizei«, sagt Tossavainen zu der verängstigt wirkenden Krankenschwester. »Haben Sie uns angerufen?«
»Ja … ja, das war ich«, gibt die
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