Erfrorene Rosen
Weile lebt und atmet er für nichts anderes als für diesen Fall. Wann hat er zuletzt etwas gegessen? Kaffee getrunken? Zu Hause angerufen? An seine Familie gedacht? Keine dieser Fragen kann er mit Sicherheit beantworten. Vielleicht hat er vor einer Stunde gegessen, vielleicht gestern. Eine solche Lebensweise ist Olli durchaus vertraut, so hat er früher gelebt. Aber jetzt bekommt er nicht mehr Gehalt, als wenn er Strafzettel für falsches Parken schriebe. Trotzdem hat er kein einziges Mal über die Motive seines Engagements nachgedacht. Es ist irgendwie selbstverständlich. Dieser Fall muss geklärt werden, nichts anderes zählt.
Die Tür geht auf, jemand kommt eilig herein. Es ist Kylmänen. Er wirft die zusammengerollte Zeitung, die er in der Hand hält, auf seinen Schreibtisch und eilt weiter zu dem Arbeitstisch in der hintersten Ecke des Zimmers, auf den sich Tossavainen mit beiden Händen stützt.
»Sorry, Jungs, ich musste noch was holen«, sagt Kylmänen.
Olli wirft einen Blick auf die Zeitung.
»Die Kriminaltechniker haben ihren Wagen weit weg abgestellt und sind unauffällig ins Haus«, berichtet Kylmänen. »Seit eurem Besuch steht es unter ständiger Beobachtung, nicht nur das Haus selbst, sondern auch die Umgebung. Jeder, der auch nur in die Nähe kommt, wird angehalten und überprüft. Die Fenster reparieren wir nicht, das wäre von weither zu sehen. Wir haben einige Männer aus dem Urlaub holen müssen, um genügend Kräfte zu haben. Einige wachsame Burschen in Zivil sind ebenfalls in der Nähe des Hauses postiert.«
»Aber das hat alles nichts gebracht?«, mutmaßt Tossavainen.
»Nein. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass der Kerl Lunte gerochen hat und nicht mehr zurückkehrt.«
»Gut möglich«, nickt Tossavainen. »In der Bude war ja nichts Persönliches, das er holen müsste. Abgesehen von der Sammelmappe. Er kann sich blitzschnell absetzen, wenn ihm danach ist.«
»Aber er muss doch irgendeine Unterkunft haben«, wendet Olli ein. »Sonst müsste er ja seine ganze Habe mit sich herumschleppen.«
»Man kann notfalls mit sehr kleinem Gepäck auskommen«, entgegnet Kylmänen. »Vielleicht verwahrt er seine wichtigsten Besitztümer in einem Schließfach. Da nimmt keiner Notiz von ihm, wenn er sie abholt.«
»Was hat die Technik rausgefunden?«, fragt Tossavainen.
»Die Analyse läuft noch. Es wurden massenhaft Fasern sichergestellt, aber die können von wer weiß wem stammen. Die alle zu analysieren, wird noch lange dauern, und die Resultate sind uns eigentlich erst dann von Nutzen, wenn wir den Kerl geschnappt haben. Dann können wir feststellen, ob wir an ihm die gleichen Fasern finden wie in der Wohnung. Fingerabdrücke wurden nur zweierlei entdeckt, die einen stammen vom Besitzer des Hauses, für die anderen haben wir noch keinen Treffer.«
»Ist denn der Abgleich mit dem Abdruckregister noch nicht fertig?«, hakt Tossavainen nach.
»Wir sind das gesamte Register einmal durchgegangen«, erwidert Kylmänen. »Die Prozedur wird noch ein paarmal wiederholt, aber bisher haben wir die Minimalentsprechung von zwölf Minutien nicht einmal annähernd erreicht.«
»Zwölf Minutien?«, wiederholt Olli fragend.
»Ein Fingerabdruck muss mindestens zwölf Übereinstimmungen mit dem Vergleichsabdruck aufweisen, bevor man beide mit Sicherheit derselben Person zuordnen kann«, erklärt Kylmänen. »Andernfalls wird er vor Gericht nicht als Beweis anerkannt.«
»Er ist nicht im Register«, schließt Tossavainen.
»Offensichtlich nicht«, stimmt ihm Kylmänen zu. »Das macht es ja so schwierig. Kann gut sein, dass unser Mann keinen kriminellen Hintergrund hat, und dann hängen wir in der Luft. Ein echter Mister Nobody.«
Olli fragt skeptisch: »Ist es wirklich möglich, dass ein Mann, der terroristische Anschläge verübt, vorher nie etwas Böses getan hat?«
»Jedenfalls keine größeren Delikte, bei denen seine Abdrücke registriert worden wären«, präzisiert Kylmänen. »Das ist ganz und gar nicht ungewöhnlich. In Helsinki ist vor einiger Zeit ein Mann mitsamt seinem Auto in die Luft gejagt worden, als er an einer Ampel hielt. Das war ein Auftragsmord, aber keiner der Beteiligten war vorbestraft. Ich könnte dir noch mehr Beispiele nennen.«
»Letzten Endes ist es doch so, dass die meisten Verbrechen, die hier bei uns begangen werden, das Werk idiotischer Stümper sind«, mischt sich Tossavainen ein. »Im Suff bringt man irgendwen um oder raubt im Tante-Emma-Laden einen Zwanziger aus der
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