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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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um. Er lässt seinen Vater gehen und hofft, dass er nie wiederkehrt.
    Tossavainen betrachtet Olli und wundert sich insgeheim, wie sehr man doch sein eigenes Blut hassen kann. Dann widmet er sich wieder den Fotos. Er kann nur hoffen, dass Olli irgendwann von da zurückkehrt, wohin er gerade gestürzt ist.
    In Ollis Kopf wirbelt alles durcheinander. Vergebens sucht er nach einem Winkel, in dem ein wenig Ruhe herrscht. Er wünscht sich, dass jemand käme und ihn irgendwohin brächte, wo die Gedanken leicht sind wie der Morgentau auf einem Blumenblatt.
    »Warum hast du Angst vor deinem Vater?«, fragt Tossavainen überraschend.
    Olli weiß darauf nichts zu antworten. Seiner Meinung nach ist Angst nicht das vorrangige Gefühl. Andererseits kann es sein, dass alle seine Gefühle für den Vater auf Angst beruhen.
    »Fürchtest du, so zu werden wie er?«, versucht Tossavainen, ihm zu helfen.
    »Nein«, weist Olli den Gedanken zurück. »Früher hatte ich davor tatsächlich Angst. Sehr sogar. Aber ich kann nicht so werden wie er, das ist unmöglich. Für jeden.«
    »Trotzdem hast du Angst vor ihm, wegen irgendetwas.«
    »Zum Beispiel?«
    Tossavainen schaut zum Fenster hinaus und legt sich seine nächsten Worte zurecht. Sorgfältig, denn ein Missverständnis könnte verheerende Folgen haben.
    »Du weißt nicht, was deiner Mutter widerfahren ist«, beginnt er langsam. »Damals, als du klein warst. Aber du weißt, dass dein Vater dabei eine wesentliche Rolle gespielt hat. Du kannst nur nicht sagen, welche. Deshalb hast du Angst.«
    Einen Augenblick lang hat Olli das Gefühl, dass seine Körperfunktionen bis in die letzte Zelle und ins kleinste Härchen gelähmt sind. Er würde am liebsten wegrennen und nie mehr zu Tossavainen zurückkehren. Denn gerade eben hat ihm jemand die Brust aufgeschnitten, den Lauf einer Flinte hineingeschoben und ihm eine Ladung Wolfsschrot direkt ins Herz gejagt. Dieser Jemand ist Tossavainen, dessen Worte Olli bis ins Mark getroffen haben. Tossavainen hat etwas gesagt, was Olli nie auszusprechen gewagt hat, aus Angst, es könne sich als wahr erweisen. Dabei hat ihn dieser Gedanke seit dem Tod seiner Mutter verfolgt. Tossavainen sollte einen Lottozettel ausfüllen, denkt Olli, er tippt immer richtig. Doch dann erinnert er sich an den Abend, an dem er sich sinnlos betrunken und offenbar alles Mögliche geschwatzt hat.
    »Was hab ich in der Kneipe wohl sonst noch alles geredet?«, knurrt er halblaut. Er fürchtet, sein ganzes Seelenleben vor Tossavainen ausgebreitet zu haben.
    Der sieht ihn nur schweigend an.
    »Es war Selbstmord«, sagt Olli schließlich bestimmt, als wolle er signalisieren, dass das Thema abgehakt ist. »So ist es nun mal.«
    Mehr wird er Tossavainen nie verraten. Selbst das, was er gerade gesagt hat, ist schon zu viel, und über die Wahrheit dieser Behauptung hat er keine endgültige Gewissheit. Er muss einfach daran glauben, denn mithilfe dieser Behauptung hat er sich durchs Leben gehangelt. Sein Blick fällt auf die Fotos, die immer noch auf dem Tisch liegen. Sie erscheinen ihm plötzlich als Fluchtweg und Rettung aus seiner Beklemmung.
    Tossavainen betrachtet Ollis Rücken und spürt, dass sich hinter dieser Schutzmauer hochexplosiver Stoff verbirgt, der schon viel zu lange auf die Entladung gewartet hat. Tossavainen möchte nicht dabei sein, wenn all das eines Tages hochgeht.

Neuntes Kapitel

    Olli schaut durch die Ritzen in der Jalousie hinaus auf die pulsierende Stadt, sieht aber nur das verworrene Problem vor sich, mit dem sie sich herumschlagen und das viele offene Fragen in sich einschließt. Sie sind mit ihren Ermittlungen vorangekommen, haben vielleicht sogar eine Art Durchbruch erzielt, aber je mehr sie herausfinden, desto mehr Unklarheiten tauchen auf. Als würden ihre Fragen mit neuen Fragen beantwortet. Hinzu kommt, dass Olli die Szene mit seinem Vater keine Ruhe lässt. Dessen unerwartete Emotionalität irritiert ihn immer noch.
    Auch in anderer Hinsicht hat er feststellen müssen, dass er sich in einer seltsamen Lage befindet. In seinem früheren Leben war er daran gewöhnt, sich zu engagieren. Man erwartete seinen vollen Einsatz bei der Verwirklichung eines Marketingprojekts oder der Lancierung eines neuen Produkts. Für diese Hingabe wurde er großzügig bezahlt, das Motiv für seinen Einsatz lag also auf der Hand. Jetzt erwartet niemand ein solches Engagement. Dennoch hat der Fall, an dem er arbeitet, ihn ganz und gar in seinen Bann gezogen. Seit einer ganzen

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