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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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einmal auf die Sammelmappe. Er ahnt, dass sie letztlich das einzige bedeutsame Indiz sein wird, ganz gleich, wie penibel das Haus und seine Umgebung untersucht werden.
    »Wir müssten es irgendwie schaffen, eine Prognose über sein weiteres Vorgehen zu erstellen«, sagt er nachdenklich. »Bevor es zu spät ist.«
    »Dabei können vielleicht die hier weiterhelfen«, tönt es vom anderen Ende des Raums.
    Olli dreht sich um und sieht, dass die Kommodenschublade offen ist und sein Vater mit einem Stapel Fotos davorsteht.
    »Verdammt noch mal, dir war doch gesagt worden, dass du nichts anfassen darfst!«, fährt Olli ihn an und eilt zu ihm.
    Der Vater reagiert nicht auf die Zurechtweisung. Die Fotos nehmen seine ganze Aufmerksamkeit gefangen.
    »Wie hast du überhaupt die Schublade aufgekriegt?«, will Olli wissen.
    »Mit dem Schlüssel.«
    »Mit welchem Schlüssel?«
    »Mit dem, der hinter der Wanduhr hängt.«
    »Und was sind das für Fotos?«, fragt Olli in strengem Ton und wirft einen verstohlenen Blick auf die Uhr.
    »Bilder von Menschen.« Der Vater breitet die Fotos in gerader Reihe auf der Wachstuchdecke aus. Sie zeigen eine bunte Schar von Menschen aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Die Vielfalt ist so groß, dass man auf den ersten Blick nichts erkennt, was diese Menschen verbinden könnte. Nur eine Reihe unbekannter Gesichter, die aus unbekannten Gründen fotografiert wurden. Auf einem der Bilder ist ein Stück von einem gelben Daunenmantel zu sehen.
    Die drei Männer beugen sich über die Fotos und betrachten sie geradezu andächtig, blicken dann verwundert, vielleicht auch ein wenig enttäuscht auf, weil sie ihnen nichts sagen.
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragt der Vater Olli plötzlich und zerstört damit die harmonische Stille, in die die Konzentration auf die Fotos sie geführt hatte.
    »Warum was?«, fragt Olli ein wenig verlegen zurück, versucht aber, gleichgültig zu wirken.
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    Olli wundert sich über den Gesichtsausdruck seines Vaters. Er enthält eine gehörige Portion Trauer, Schmerz und Enttäuschung. Keine Spur von Interesse an den Fotos, als seien sie Luft für ihn.
    »Von deiner Heirat.«
    Bei diesen Worten zuckt Olli zusammen. Sie rauben ihm fast den Atem. Er fühlt sich bedroht, ihm ist, als habe der Vater seine Privatsphäre verletzt, sei unbefugt und gewaltsam in sein Leben eingedrungen.
    »Woher weißt du davon?«, fragt Olli mit einem Anflug von Hass, während er hastig zu Tossavainen hinüberblickt, dessen Interesse mittlerweile ebenfalls geweckt ist.
    »Anna hat es mir erzählt.«
    »Anna«, wiederholt Olli und spürt, wie seine Halsadern anschwellen und seine Schläfen heftig schmerzen.
    »Ich war bei euch. Bei dir zu Hause«, sagt der Vater.
    Olli hasst sich selbst. Er schafft es nicht, sich zu beherrschen. Dieselbe alte Geschichte, die ihn immer überrascht, wenn er sich bedroht fühlt. Ein Kloß sitzt ihm im Hals, das Herz will zerreißen, die Stimmbänder sind wie gelähmt, und die ersten Worte gehen in verzweifeltem Schlucken unter. Der Körper wird eiskalt. Oder so fühlt es sich jedenfalls an, wenn das Zittern zu einem unkontrollierbaren Schütteln wird und die klappernden Zähne einen fast am Sprechen hindern.
    »Warum zum Teufel bist du da hingefahren?«, knurrt er und weiß genau, dass ihm sein Gefühlszustand deutlich anzusehen ist. »Was hattest du da zu suchen?«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, wiederholt der Vater seine Frage, ohne sich im mindesten darum zu kümmern, in welche Verfassung er seinen Sohn gebracht hat.
    »Bist du deshalb hier?«, faucht Olli, der erst jetzt bemerkt, dass er in die Defensive gedrängt worden ist.
    »Was gibt dir das Recht, mir nichts von Eetu zu sagen? Mir zu verschweigen, dass ich einen Enkelsohn habe?«, fragt der Vater leise, fordernd und verletzt.
    Olli erstickt fast, denn er weiß nicht, was er sagen, wie er antworten soll. Dass Tossavainen das Gespräch aufmerksam und verwundert verfolgt, macht die Sache nicht leichter.
    »Raus!«, zischt Olli hasserfüllt.
    Der Vater rührt sich nicht. Als wolle er seinem Schicksal trotzen, sieht er Olli mit traurigem Gesicht an.
    »Raus!«, wiederholt Olli mit einer Schärfe, die jede Versöhnung ausschließt.
    Der Vater sieht Olli noch eine Weile an, wirft einen Blick auf Tossavainen, dem er regelrecht leidtut, und geht dann langsam hinaus. Ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Auch Olli blickt sich nicht nach ihm

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