Erfuellt
Miene, und ich wusste, dass ihm irgendetwas zu schaffen machte.
»Er hat noch eine andere Tochter, und mit ihr geht er völlig anders um. Ganz zärtlich. Ich glaube, die liebt er wirklich. Aber sie ist auch ganz anders als Nan, eher still und bescheiden. Das scheint ihm mehr zu liegen. Ein lammfrommes, süßes Töchterchen. Und das wird Nan eben niemals sein.«
»Eine weitere Tochter? Tatsächlich?« Davon hatte ich nie etwas mitbekommen.
»Jepp. Sie lebt bei ihm und hat das gekriegt, was Nan will und trotzdem nie haben wird. Das macht Nan fertig. Immer haben ihre Eltern ihr die Aufmerksamkeit vorenthalten, nach der sie so giert. Rush war alles, was sie je hatte, und jetzt gibt es für ihn noch Blaire und Nate. Sie hat auch ihn verloren. Das bricht mir irgendwie das Herz.« Er nahm noch einen Schluck und erhob sich dann schwankend. »Mir ist schon klar, dass keiner versteht, was ich von ihr will, und wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es ja manchmal selbst nicht. Sie ist eigentlich wirklich in jederlei Hinsicht gemein und abgefuckt.«
Ich nickte zustimmend. Das sah ich genauso.
D ich zu bekommen war ein riesiger Fehler. Wenn du nicht die ganze Nacht geheult und mich wach gehalten hättest, dann hätte ich dieses Nickerchen nicht gebraucht … Ich hätte meinen kleinen Jungen nicht zu diesem Laden gehen lassen. Es ist alles deine Schuld, Della. Nur deine. Er weiß das auch. Er wollte bei mir bleiben, aber ich war so müde. So schrecklich müde. Du hast mich einfach nicht schlafen lassen«, brüllte Mutter, stand auf und haute mir eine runter. Ich taumelte zurück und versuchte mich an der Bettkante festzuhalten, ehe ich stürzte.
»Wenn du mich ausruhen und eine gute Mommy hättest sein lassen, dann wäre mein Kleiner noch am Leben. Aber du hast alles zerstört. Ich wollte kein weiteres Kind. Bloß dein Vater wollte das um jeden Preis. Ein kleines Mädchen, das unsere Familie vollständig macht. Du hast uns kein bisschen vervollständigt! Du hast uns ruiniert!« Ich versuchte mich irgendwie zu schützen, als meine Mutter von Neuem auf mich losging. Und ich versuchte, nicht zu weinen. Wenn ich das tat, würde sie noch wütender werden. Ich musste unbedingt ruhig bleiben. Musste sie brüllen lassen. Bald würde sie selbst anfangen zu heulen und sich in ihr Zimmer zurückziehen.
»Geh auf dieses Bett und beweg dich nicht! Die Monster, die sich unter dem Bett verstecken, werden dich sonst kriegen. Sie werden dich dafür bestrafen, dass du so ein böses Mädchen warst. Sie wissen, dass du schuld bist. Wissen, was du mir angetan hast.«
Eigentlich verstand ich nicht, weshalb sie mich für den Tod meines Bruders verantwortlich machte – als es passiert war, war ich noch ein Baby gewesen –, aber ich ließ sie trotzdem schreien und auf mich einschlagen. Wenn ich mich wehrte, brachte sie das nur noch mehr in Rage. Einmal hatte sie mich während des Frühstücks verprügelt, und ich war erst mitten in der Nacht wieder zu Bewusstsein gekommen. Ich hatte auf dem Küchenboden gelegen – ein Kissen unter dem Kopf, eine Decke auf meinem Körper. Neben mich hat sie zwei Teller mit Essen gestellt.
Nein, ich wehrte mich nicht mehr. Ich hatte viel zu viel Angst.
»Jetzt geh aufs Bett!«, rief sie, als ich mich aufrappelte, um ihrem Befehl Folge zu leisten.
»Und komm ja nicht hier raus! Ich ertrage deinen Anblick einfach nicht mehr!«, sagte sie, ehe sie davonging und die Tür hinter sich zuknallte. Ich hörte das vertraute Klicken und wusste, dass sie mich wieder einmal eingesperrt hatte. Meine Tür wurde immer nur von außen abgeschlossen. Mom kontrollierte das.
»Gute Nacht, Mom«, flüsterte ich, zog meine Knie an und schaukelte vor und zurück, während ich mir vorstellte, dass ich ein ganz anderes Leben führte. Ein schöneres. Eines, in dem ich nach draußen gehen und im Sonnenschein Rad fahren durfte.
Ich schlug die Augen auf und starrte an die dunkle Zimmerdecke, an der ich undeutlich den Ventilator erkennen konnte. Kurz musste ich überlegen, dann wusste ich wieder, dass ich mich im Gästezimmer in Bradens Haus befand. Ich war nicht schreiend aufgewacht wie sonst, wenn ich von meiner Mutter träumte und es mir vorkam, als klebte Blut an meinen Händen. Irgendetwas hatte sich verändert. Die Bilder, von denen ich dieses Mal geträumt hatte, hatte ich vollkommen vergessen gehabt. Langsam setzte ich mich auf, schwang meine Beine über die Bettkante und erhob mich. Tatsache. Ich hatte von Mom geträumt und dabei
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