Erhört: New Tales of Partholon 4 (German Edition)
Elphames Lippen.
Der Tee war warm und kräftig und schmeckte leicht nach Honig und Minze. Beinahe sofort spürte Elphame, wie ihre Augenlider unnatürlich schwer wurden. „Du musst mich nicht betäuben. Ich bin bereits müde“, nuschelte sie.
Cuchulainn schob seiner Schwester eine dicke Haarsträhne aus dem blassen Gesicht. „Schlaf einfach. Brenna weiß am besten, was dir guttut.“
El versuchte den Blick klar auf ihren Bruder zu richten, doch das misslang. Er sah immer noch besorgt aus. Dunkle Schatten zeigten sich unter seinen Augen.
„Du musst auch schlafen“, sagte sie schwach.
„Ja. Bald, El, bald.“
Elphame seufzte, schloss die Augen und wurde vom Schlaf übermannt.
Cuchulainn ließ sich in den Stuhl neben dem Bett seiner Schwester fallen. Er rieb sich die Schläfen und drehte den Kopf hin und her, um die Verspannung im Nacken zu lösen.
„Sie hat recht. Du musst auch schlafen“, sagte die Heilerin, ohne ihn anzusehen, während sie die Laken um Elphames schlafenden Körper herum glatt zog.
Cuchulainn fiel auf, dass Brennas Stimme wieder leise geworden war und sie sich von ihm wegdrehte. Sie klang nicht mehr wie die Person, die vor gar nicht allzu langer Zeit wie ein Krieger Befehle ausgegeben hatte. Er sah zu, wie sie die kleinen Kräuterhäufchen ordnete, aus denen sie Elphames Tee gebraut hatte. Die wachsende Freundschaft zwischen den beiden Frauen hatte ihn bereits für die Heilerin eingenommen, aber ihr Fachwissen und Können, das sie im Zusammenhang mit dem Unfall seiner Schwester gezeigt hatte, nötigten ihm Respekt ab. Er gab zu, dass sie ihn faszinierte. Im einen Augenblick weckte sie in ihm den Wunsch, sie zu beschützen, so wie er es bei seiner Schwester tat, und im nächsten rief sie Befehle und zeigte ein Selbstbewusstsein, das ihn an diesachliche Art seiner Mutter erinnerte. Das war eine Mischung, wie er sie noch nie bei einer Frau erlebt hatte.
Das Licht im Zelt war gedämpft – nur die Flamme einer einzigen Kerze flackerte auf dem kleinen Nachttischchen. Wie üblich trug Brenna ein Oberteil, das ihre Brüste komplett bedeckte und bis zu ihrem Hals hinaufreichte. Cuchulainn war es gewohnt, Brüste zu sehen; die Frauen in Partholon zeigten traditionell so viel verführerisches Dekolleté, wie sie wollten. Sogar seine Schwester, die sich stets für einen langen Rock entschied, um ihren Unterkörper vor neugierigen Blicken zu schützen, wählte meist Oberteile aus dünnen Seidenstoffen, die wenig verhüllten. Genau wie ihre Persönlichkeit sich von der anderer Frauen unterschied, unterschied sich auch Brennas konservative Kleidung von der seiner Schwester, vor allem jedoch von der anderer junger Frauen. Cu ahnte, dass sie damit weitere Narben verdeckte, aber der Gedanke schoss ihm nur kurz durch den Kopf. Was blieb, war der Wunsch, den Körper unter dem verhüllenden Gewand zu sehen – und zwar nicht, weil er neugierig auf ihre Verletzung war. Er wollte sie wirklich sehen, wollte die Frau unter den Narben kennenlernen. Sein Blick verharrte auf der elfenbeinweißen Haut ihrer schön gerundeten Oberarme.
Brenna spürte seinen Blick. Sie wusste, wenn ein Mann sie anstarrte; sie hatte jahrzehntelange Erfahrung mit Männern und deren abschätzigen Blicken. Während eines Notfalls vergaßen sie meist, wie sie aussah, aber wenn die Krankheit oder Verletzung oder Geburt vorüber war, wurde aus der Heilerin wieder die vernarbte Frau. Die Blicke waren gar nicht mal so schlimm. Schlimm war es, zu wissen, dass die Männer sie niemals wirklich sahen, vor allem die gut aussehenden wie Cuchulainn. Sie sahen nur die Ruine, die das Feuer hinterlassen hatte. Ja, er war nett zu ihr, aber sie wusste, dass dieses Nettsein der Ergebenheit gegenüber seiner Schwester entsprang. Die nackte Wahrheit wäre einfach zu erkennen, wenn sie von ihren Kräutern aufschauen und ihm in die Augen sehen würde. Sie hatte sich das Haar zurückgebunden, bevor sie die Verbände an Elphames Wunden gewechselt hatte, und obwohl sie aus Gewohnheit die vernarbte Seite ihres Gesichts so gut wie möglich verbarg, saß er doch so nah bei ihr, dass er die Narben deutlich sehen konnte. Sicher starrteer sie mit dieser Mischung aus Faszination und Abscheu an, die sie nur zu gut kannte. Brenna seufzte und hob das Kinn, um sich Cuchulainns Blicken zu stellen.
Cuchulainn spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Brenna hatte ihn dabei ertappt, dass er ihren Körper wie ein unreifer Jugendlicher anglotzte. Er fuhr sich mit den
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