Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Streit unter den Mannschaften so kurz vor der Abreise konnte zum gefährlichen Gift auf hoher See werden. Schnell näherte sich das Gebrüll dem Lavahügel. Mit Flüchen und Schlägen trieben fünf Knechte einen Mann vor sich her, fiel er hin, so rissen sie ihn am Kragen hoch und stießen ihn weiter. Die hagere Gestalt kam Thjodhild bekannt vor, jedoch das blutüberströmte Gesicht bot keine Möglichkeit, sich genauer zu erinnern. »Nimm deine Tochter und leg dich schlafen!«, befahl sie Katla leise. »Morgen sehen wir weiter.«
Nur wenige Schritte vor dem Lagerplatz der Herren verließen den Geprügelten endgültig die Kräfte, und wie eine Puppe warfen ihn seine Peiniger vor die Feuerstelle.
»Den haben wir auf unserm Knorr gefunden, Herr.« Sie wandten sich nicht an Erik, sondern an Herjulf, den grauhaarigen Großkaufmann aus der Rauchbucht im Südwesten Islands. »Er hat sich zwischen den Waffensäcken versteckt.«
»Tüchtige Burschen seid ihr. Aber warum, bei den Göttern, warum müsst ihr seinetwegen solchen Lärm machen?« Keinen Blick verschwendete Herjulf auf den Stöhnenden zu seinen Füßen. »Schafft ihn tiefer ins Geröll. Füchse und Raben sollen den Rest übernehmen. Und dann haltet ihr Ruhe!«
»Da ist noch was.« Der Sprecher zuckte die Achseln. »Wir hätten ihn ja auch gleich ersäuft. Aber er sagt, dass er Christ war; und sein Gott würde jeden bestrafen, der einen anderen tötet. Und weil wir doch bald rausfahren, dachte ich, frag besser erst, nicht dass uns der Zorn von diesem Gott den Sturm schickt.«
»Christ!?« Erik war aufgesprungen, noch ehe er den Geprügelten erreicht hatte, beugten sich schon Tyrkir und der Richter vom Warmquellhang über die Gestalt und wälzten sie auf den Rücken. »Es ist Askel der Magere.«
»Verflucht!« Erik schlug sich an die Stirn. »Da haben wir nur gesunde Siedler und junges, gesundes Vieh ausgewählt und dann schleicht sich beinah noch ein Christ bei uns ein.«
»Mein Heiland …«, stöhnte der Magere und öffnete die Lider. »Er bringt das Licht…«
»Halt’s Maul! In Grönland ist es hell im Sommer und dunkel im Winter, genau wie hier. Deinen Gott brauchen wir da nicht.« Der Rote forderte von Herjulf: »Lass die Leute den Kerl wegschaffen!«
Der Großkaufmann zögerte. Auch in den Mienen der übrigen Herren stand Zweifel. »Was habt ihr? Ihr wollt doch nicht …« Erik stieß Tyrkir an. »Sag du es mir!«
»Vielleicht wäre es wirklich nicht klug, den fremden Gott zu verärgern.«
»Schlaukopf!« Der Hüne schlug seine Fäuste gegeneinander. »Nur Ran kann uns gefährlich werden. Und wir haben ihr Opfer dargebracht. Das genügt.«
»Verdammt! Du wolltest meinen Rat.«
»Wag es nicht! Ich allein gebe hier die Befehle!«
Rasch stellte sich Thorbjörn Vifilsson zwischen die Freunde. »He, keinen Streit! Lasst mich helfen.« An Herjulf gewandt fuhr er fort: »Bei dir hat sich der Magere eingeschlichen. Nach gültigem Gesetz verfügt der Schiffsführer über die höchste richterliche Gewalt an Bord, also entscheide du: Soll dieser Christ dem sicheren Tod ausgeliefert werden?«
»Ehe wir …? Nein, besser nicht.«
»Das Problem ist gelöst.« Entwaffnend lächelte der Gode. »Askel gehört zu meinem Gerichtsbezirk. Fahrt ihr nach Grönland und überlasst ihn mir!« Ohne abzuwarten ließ er den Mageren an Händen und Füßen fesseln und zu den Schweinen legen.
Welch eine Erleichterung bei den Frauen, auch die Mienen ihrer Männer entspannten sich. Lob und Anerkennung galten dem klugen Goden. Herjulf schickte seine Knechte hinunter zum Schiff und die Gutsherren setzten sich wieder ans Feuer. Frisches Bier wurde ausgeschenkt. Es dauerte noch eine Weile, bis Erik sich beruhigt hatte, dann aber legte er Tyrkir den Arm um die Schulter. »Was soll’s, Schlaukopf«, murmelte er, »Hauptsache ist, der Christ kommt nicht mit in unser Land.«
Mit großen Schlucken leerte er seinen Becher. »Morgen brechen wir die Zelte ab!«, verkündete er der Runde. Erst nachdem auch das Viehzeug sicher in den Laderäumen untergebracht war, sollten die Siedler und Sklaven an Bord gehen. »Und nehmt keinen mit, den ihr nicht kennt!« Sein breites Grinsen bewies allen, dass für ihn der Vorfall abgetan war. Erik der Rote, ihr oberster Führer, gab ihnen letzte Order. »Von da an darf ohne eure Erlaubnis keiner mehr das Schiff verlassen; und ihr habt eine Nacht lang Zeit, mit Mannschaft und Fahrgästen noch im Hafen das Leben an Bord zu regeln. Dann, bei
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