Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
sah an sich hinunter.
»Ich mein, wem der Kopf schwillt, dem müssen auch die Füße nachwachsen.«
»Willst du mich beleidigen? Herr!«
»Nein.« Betont fügte auch der Schmächtige das »Herr« hinzu und wartete, bis Erik ihn angrinste, ehe er fortfuhr. »Ohne Frage, der Erfolg ist sicher dein Verdienst. Ich wusste zwar, wenn du mal ins Schwärmen gerätst, fehlen dir keine Worte. Aber dass du so geschickt wie ein Fischhändler auf dem Markt unser Grönland anpreisen kannst, hab ich nicht erwartet.«
»Kein Wort war gelogen.«
Tyrkir hob die Achseln. Ach, mein Wikinger, dachte er, nur hast du in deiner Begeisterung einiges von der Wahrheit für dich behalten. Doch damit werden wir uns erst in Grönland beschäftigen müssen. Zunächst sorge ich mich um deine Frau. »Wie willst du es Thjodhild beibringen?«
Erik blickte sich nach dem kleinen Zelt neben seiner geräumigen Behausung um. »Ganz einfach«, murmelte er. »Ausgemacht ist, dass sie erst kurz vor der Abfahrt von ihrem Vater hergebracht wird. Und sobald sie eintrifft, schicke ich sie rüber.«
»Fürchtest du dich?«
»Na ja, drei Jahre Entdeckungsfahrt kommen mir jetzt leichter vor.«
Wie ein Held wurde der Rote auf dem Junithing bestaunt und umworben. Er saß mit Tyrkir in der zeltgedeckten Steinhütte seines Freundes vom Warmquellhang und empfing täglich neue Bewerber. Die Parteigänger des Breidabauern beim Prozess vor vier Jahren schickte er ohne Bedauern fort, kamen Gutsherren, die wegen des Mangels an genügend Weideland oder der bedrückenden Hungersnot bereit waren, ihren Hof in Island aufzugeben, so wählte er sorgfältig und entschied sich für Männer mit harten Händen und ehrlichem Blick. Die Schiffe eitel gekleideter, groß daherredender Bauern unterzog er nicht einmal der Prüfung. »Du kommst zu spät. Zwanzig seetüchtige Knorrs liegen schon beladen draußen an der Spitze von Schneefels. Fünf hab ich noch ausgewählt. Das genügt.«
Kaum war er mit Tyrkir und dem Richter vom Warmquellhang allein, drängte er Thorbjörn wieder: »Komm mit uns! Dein Seevogel fährt neben mir an der Spitze. In Grönland können wir ein gutes Leben führen.«
»Die Vorstellung ist verlockend.« Thorbjörn strich sich nachdenklich über den Nasenrücken. »Aber ich will und muss Rücksicht nehmen.« Nach dem Tod Hallweigs hatte er seine Tochter Gudrid zu der Seherin vom Adlerhof in Pflege gegeben. »Die Kleine zählt erst fünf Winter. Sie hat Onkel und Tanten. Noch leben ihre Großeltern. Wenn die Mutter schon fehlt, möchte ich, dass Gudrid im Schutz meiner ganzen Sippe zur Frau heranwächst. Wer weiß, vielleicht folge ich euch später mit ihr nach.«
»Wann das auch sein mag, du wirst immer willkommen sein.«
Nur ein Abschied für jetzt. Um Lebewohl zu sagen, versprach Thorbjörn Vifilsson mit der Tochter rechtzeitig vor dem Auslaufen der Flotte ans Kap zu kommen.
Auf dem Ritt zurück ins Siedlerlager blickte Erik immer wieder zum Himmel. Schnell trieben die Wolken von Westen landeinwärts. Der Wind durfte noch nicht drehen, Regen war ihm jetzt willkommen, umschlagen sollte das Wetter erst im August, nur dann blieb der Ost bei klarem Himmel wenigstens für zwei Wochen beständig. Ich werde Opfer anordnen, nahm er sich vor. Jede Fahrtgemeinschaft musste ein Tier schlachten, um Ran, das grausame Weib des Meeresgottes, zu besänftigen. Er ballte die Faust. Ran, die ihr Netz nach allen Schiffen auswarf, die ihre neun Wellentöchter losschickte, um mit den Seefahrern den Todestanz zu tanzen, ehe sie selbst ihre Krallen nach den Unglücklichen ausstreckte. Allein diese Asin konnte noch seinen großen Plan, das erhoffte Glück zunichte machen.
Seit dem Morgen stapfte Tyrkir durchs Lavageröll von einem Zeltdorf zum nächsten, zählte und füllte sein lederbespanntes Schreibbrett mit Strichen. Wo er auch hinkam, begrüßte ihn erst Hundegekläff, dann roch es nach Fleischsuppe. Jedem betuchten Schiffseigner waren für die Reise noch zwei oder drei Familien zugeteilt worden; Fremde, die inzwischen eng zusammengerückt waren. Vor den notdürftigen Unterkünften spielten und zankten die Kinder. Ja, lauft nur, tobt, soviel ihr könnt, dachte er, wer weiß, wie lange ihr an Bord neben dem Vieh eingepfercht seid. Rinder glotzten ihn an. Pferde scharrten und schnaubten, angepflockte Schafe und Ziegen kauten an Heubüscheln und über allen Lärm hinweg gackerten Hühner aufgeregt in ihren Weidenkäfigen.
Um die gemeinsame Kochstelle verteilt arbeiteten
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