Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Frauen und Mägde. Einige Sklavinnen fetteten die Haut der Regenumhänge, andere flickten Löcher in den Pelzsäcken, während ihre Herrinnen sich über Truhen beugten und unentbehrliche Haushaltsgeräte einpackten. Ernste, besorgte Mienen empfingen den Deutschen, seit dem Wetterumschwung war die Anspannung in den Zeltdörfern spürbar gewachsen, der Aufbruch musste unmittelbar bevorstehen. Doch wann? Er beantwortete Fragen und war bemüht, mit kleinen Scherzen die Angst vor dem Unbekannten zu mindern.
War seine Aufgabe bei Frauen und Kindern gerade noch lösbar, wurde sie im Hafen zum Glücksspiel. Wie Bienenstämme das Honignest umschwärmten die Besatzungen ihre Knorrs, Fässer und Kisten wurden an Bord geschafft, Befehle, Flüche; sie richteten den Mastbaum auf, rollten Taue oder teerten die Planken der Außenwände.
Sichtlich gerädert kehrte Tyrkir zum Hauptzelt zurück.
»Wie groß ist das Volk der Grönländer?«, empfing ihn Erik.
»Bei dem Durcheinander da draußen habe ich bestimmt den einen oder anderen doppelt gezählt.« Tyrkir überschlug die Strichreihen auf der Lederhaut. »Hiernach aber sind es die Familien von dreiundvierzig Gutsherren und einhundertzwanzig freien Bauern, hinzu kommen Hunderte von Sklaven. Rechne ich alles zusammen, dann werden wir mit ungefähr tausend Menschen in See stechen.«
»Und verteilt auf sechsundzwanzig Schiffe.« Der Rote wischte sich den Schweiß aus der Stirn. »Denk ich jetzt noch an Proviant, Waffen und Werkzeuge, vom Vieh ganz zu schweigen, dann liegen unsere Knorrs tiefer im Wasser, als mir lieb ist. Erinnere mich bei der Besprechung mit den Schiffsführern daran, dass Schöpfeimer auch an Frauen und Kinder verteilt werden müssen.«
Aus dem lebhaften Gewirr draußen drang eine Stimme herein. »Wo finde ich Erik Thorvaldsson?« Die Freunde stockten, dann stürzten beide zum Ausgang.
Sie war eingetroffen. Thjodhild stand lächelnd vor ihnen, an jeder Hand hielt sie einen Sohn.
Wie schön du bist, dachte Tyrkir, trotz deiner Reisehaube sehe ich dein Haar, trotz der groben Wollkleider sehe ich deine schlanke Gestalt. Er schmunzelte über sich selbst, vielleicht liegt es nur an deinen Augen, dass ich so viel mehr sehe.
Erik ging auf sie zu. »Willkommen.« Ehe er seine Frau umarmen konnte, trat Leif zwischen sie. »Mutter? Ist das unser Vater?«
»Ja, Junge«, lachte Thjodhild. »Dies ist der große Erik, auf den wir so lange warten mussten.«
Leif krauste die Nase, schließlich stemmte er seine Fäuste in die Seiten. »Ich bin fertig«, meldete er. »Unser Gepäck liegt am Schiff. Wir sollten sofort aufs Meer fahren.«
»Langsam, Bootsmann!« Vergnügt spielte der Hüne mit und knuffte ihn gegen die Brust. »Die Befehle gibt nur der Schiffsführer.«
»Ich auch, Vater!«, krähte der Kleine an der linken Hand der Mutter.
»Müssen wir den mitnehmen?« Leif verzog das Gesicht und warnte: »Beim ersten Ungeheuer scheißt der sich gleich in die Hose.«
»Ich auch! Ich auch!«
»Still jetzt!« Am Haarschopf drehte Thjodhild ihren Ältesten in Richtung Zelteingang. »Begrüße Onkel Tyrkir.«
Beinah ehrfurchtsvoll näherte sich der Junge. Das also war der zweite Held aus den Abenteuern, die der Großvater ihm erzählt hatte. Leif bewunderte den schiefen Mund und die Narbenseite. »Jeder Troll hatte fünf Schwerter, ich weiß. Aber du hast sie alle getötet.«
»Wenn du’s schon weißt«, Tyrkir zog ihn an sich, »dann brauchen wir darüber nicht mehr zu reden.« Er sah forschend zu Erik hinüber. Der Freund hatte den dreijährigen Thorvald auf dem Arm. Thjodhild richtete ihm gerade Grüße von den Eltern aus. Weil er seine Frau nicht allein lassen wollte, war Thorbjörn nicht mitgekommen. Der erste Knecht vom Habichtshof hatte sie und die Kinder hergebracht. »Und ich glaube, daheim fiel es den Alten leichter, von mir Abschied zu nehmen, als hier dem Schiff nachzuwinken.«
»Schon recht«, murmelte der Hüne. »Was ich noch sagen wollte …« Sein Blick floh Hilfe suchend zu Tyrkir, doch der nahm Leif an der Schulter: »Komm! Ich habe dir einen Stock geschnitzt. Jedes Zeichen schützt dich vor einem anderen bösen Geist.« Rasch verschwand er mit dem Jungen im Hauptzelt.
Thjodhild runzelte die Stirn: »Erik Thorvaldsson!? Warum sprichst du nicht weiter?«
»Überzeug dich selbst!« Kurz deutete er auf das kleine Zelt neben seiner Unterkunft und trug Thorvald zu den Schafen hinüber.
Wenig später trat sie wieder ins Freie. Ihr Gesicht war blass.
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