Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
zurückliegenden Jahren bemüht, ein berauschendes Getränk herzustellen. Anfangs war es nur des Stolzes wegen, weil Erik ihm ständig in den Ohren lag: »Schlaukopf, du musst dein Wort einlösen. Sauermilch und Wasser trocknen mir die Kehle aus. Du hast vor meinem Vater behauptet, dass du da unten am Rhein schon als Kind was vom Keltern gelernt hast. Nur deshalb hat dich der Alte nicht vom Hof gejagt. Also beweise es jetzt endlich!«
Für Bier fehlte die Gerste, es sei denn, sie konnte von den Kauffahrern teuer erstanden werden. Genügend Honig, um Met zu gären, gab es hier nicht. Also versuchte sich Tyrkir zunächst an Wurzeln und dem Saft der Birken. Ein bitter-süßes Gesöff, welches kaum zur Trunkenheit führte, aber den Kopf noch tagelang im Nebel hielt. Der Misserfolg weckte seine Leidenschaft. Schwarze Krähenbeeren! Sie waren die Rettung, denn davon gab es auf den Bergwiesen genug und mit nur etwas Wohlwollen schmeckte sein Beerenwein sogar.
Vor dem Schlachthaus roch es nach Blut und rohem Fleisch. Die Innereien dampften in den Bottichen. Um das Wild zu zerlegen, hatte Leif nur erfahrene Knechte eingeteilt. Sie arbeiteten Hand in Hand, zwei trennten die Köpfe ab, die nächsten banden nacheinander jeden Rumpf mit den Hinterläufen zuoberst ans Holzreck. Schnelle, sichere Schnitte, und bei den Hufen angefangen wurde erst das wertvolle Fell langsam nach unten abgezogen, dann der Leib geteilt und die Hälften den Knechten an der langen Fleischbank überlassen. Kein lautes Wort fiel, so groß die Freude über das Jagdglück auch war, ein Tier dann zu schlachten verlangte den Männern stille Ehrfurcht ab.
Freydis verfolgte ihren Bruder, ob er im Räucherhaus nach Haken suchte, die Salztöpfe bereitstellte oder den Knechten Anweisungen gab, sie blieb dicht hinter ihm. Schließlich zog sie Leif beiseite. »Lass mich auch. Einmal nur, ich allein. Bitte!«
Verblüfft sah er in das gerötete Gesicht. »Was denn?«
Ihre Stimme zitterte. »Nur eins von den Jungtieren.«
»Nun sag endlich genau, was du willst!«
Seltsames Licht flackerte in den Augen auf, Freydis benetzte mit der Zungenspitze ihre Lippen und zückte den kleinen Dolch: »Einen Kopf abschneiden.«
»Du bist …« Leif setzte neu an: »Warum, beim Loki? Unsere Leute schaffen die Arbeit allein und besser.«
»Woher willst du das wissen, wenn ich es nicht versuchen darf?« Sie reckte ihre Brüste und schmeichelte. »Du kannst ja zusehen, und falls ich einen Fehler mache, hilfst du mir. Schließlich hat mein großer Bruder mir schon einiges gezeigt. Weißt du noch? Als wir früher oben in der Scheune …«
»Das waren Kinderspiele, nicht mehr.«
»Na ja. Heute sehe ich das anders, aber sei beruhigt, es hat mir gefallen, Brüderchen.«
»Sei still!« Einen Moment verlegen, kratzte er sich den Kinnflaum, dann fand er seine Sicherheit zurück. »Also meinetwegen. Aber nicht mit diesem Spielzeug. Dazu benötigst du einen Dolch mit langer Klinge.«
»Du bist der liebste Bruder, den ich habe.« Freydis lief schon voraus, wählte das kleinste der Rene aus, und nachdem ihr Leif das scharfe Werkzeug überlassen hatte, hockte sie sich rittlings über das Tier und nahm den Leib fest zwischen die nackten Schenkel. Sie streichelte mit der freien Hand den Hals hinauf, vergessen war der Bruder, seine Ratschläge erreichten sie nicht, unter dem Ohr stach sie ein. Während des Schnitts flog ihr Atem, die Klinge traf auf Widerstand, mehrmals musste sie ansetzen, bis der Kopf endlich abgetrennt war. Freydis blieb über den Rumpf gebeugt, mit einem Mal entspannten sich ihre Schultern. Sie stand auf, das seltsame Licht in den dunklen Augen war erloschen, mit weichem Lächeln sah sie den Bruder an. »Danke. Na, hab ich es richtig gemacht?«
»Fürs erste Mal nicht schlecht.« Er nahm ihr vorsichtig das Messer aus der Hand. »Bring jetzt einen Eimer mit Leber in die Küche! Sicher wartet Mutter schon darauf.«
»Mach ich gern.«
Leif starrte ihr nach. Sie ließ vergnügt den Bottich am Tragriemen hin- und herschwingen. »Aus dir werd ich nicht schlau«, flüsterte er. »So ein schönes Mädchen, aber vorhin? Wer dich mal heiratet, den beneide ich nicht, der sollte besser ständig auf der Hut sein.«
Gegrillte Leber! Auf dem Rost über der Kochgrube zubereitet. Ehe die seltene Köstlichkeit hereingebracht wurde, kitzelte sie in der Nase, ließ das Wasser im Munde zusammenlaufen. Wie eine Vorspeise hatten Gäste und Gastgeber den Geruch zu sich genommen, und als
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