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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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nicht warten, Junge.«
    Leif öffnete wieder die Augen. »Worauf?«
    »Ich muss das Rezept für den Beerenwein so schnell wie möglich wissen. Meinst du, Thorgunna würde mich einladen?«
    »Aber sicher.« Er wiegte sich vor und zurück. »Heute Nacht sage ich ihr, dass du uns morgen Abend besuchen willst. Kleine Katzenfelle hat sie, Onkel, und die wickelt sie mir … ach, staunen wirst du …« Der Kopf sank nach vorn und hing über den Knien, Leif war eingeschlafen.
    Behutsam kippte Tyrkir den ermatteten Körper zur Seite und deckte ihn mit einem Robbenfell zu. Eine Weile betrachtete er das Gesicht seines Schützlings: schwarz geränderte Augenhöhlen, bleiche, eingefallene Wangen, die halb geöffneten Lippen waren zerbissen und in den Mundwinkeln klebte Blut. So gern ich dir auch dein erstes Liebesabenteuer gönne, dachte er und fühlte Zorn aufsteigen, nur, diesem Weib scheinst du nicht gewachsen zu sein.
    Spät am nächsten Vormittag, Leif ruhte sich seit Stunden im Bordzelt von der erneuten nächtlichen Strapaze aus, kam ein Sklave und fragte nach Tyrkir. »Meine Herrin lässt dir ausrichten, dass es für sie eine Ehre … Nein, sie wäre überglücklich, wenn du …« Der Knecht hatte den ihm aufgetragenen Text vergessen und sah zum Himmel. »Also, meine Herrin Thorgunna freut sich, wenn du heute Abend auf unsern Hof kommst. Und bei der Heiligen Jungfrau Maria, es gibt verdammt gutes Essen.«
    Tyrkir warf ihm ein Silberstück zu. »Sag deiner Herrin meinen Dank. Gerne werde ich mit Leif, dem Sohn des Goden Erik Thorvaldsson, der Einladung Folge leisten.«
    »Versteh ich nicht.«
    »Wir kommen heute Abend«, übersetzte Tyrkir, dann runzelte er die Stirn. »Was hast du gerade gesagt? Heilige Jungfrau Maria?«
    Ängstlich streckte ihm der Knecht das Silberstück wieder hin. »Hier. Ich geb’s zurück. Aber verratet mich nicht, dass ich bei ihrem Namen geflucht habe. Meine Herrin hat es streng verboten, weil es der Priester auch verboten hat.«
    »Schon gut. Behalte das Geld!«
    Tyrkir blickte ihm nach, wie er hastig das Pferd bestieg. »Auch das noch.« Zwar war er schon vor einigen Tagen dem Bimmeln der Glocke nachgegangen, hatte von weitem die kleine Kirche außerhalb des Ortes gesehen und wusste längst, dass die meisten Familien in Drimore den neuen Gott der prächtigen Götterschar in Walhall vorgezogen hatten, doch diese Tatsache war ihm bisher gleichgültig gewesen. Jetzt aber? Thorgunna eine Christin! Hatte sie vielleicht deshalb Leif so schnell in ihren Bann ziehen können, dass er jede Pflicht vergaß, nicht mehr nach Norwegen segeln, geschweige denn das Schiff seinem Vater zurückbringen wollte, sondern bei ihr bleiben? Verlieh der neue Glaube Thorgunna diese Macht über den Jungen?
    Tyrkir schloss die Augen und kehrte zurück in sein Dorf am Rhein. Die geduckte Steinkirche. Über den flackernden Kerzen hing das Bild. Wie zärtlich hielt Maria ihren Sohn im Arm. Nein, dachte er, soweit ich mich erinnern kann, gehen keine bösen Kräfte von der Mutter und dem Gottsohn aus. Aber wer weiß, schließlich war ich selbst noch klein und habe bis auf das Bild alles vergessen. Oder dieser Jesus hat sich inzwischen geändert? Auch gut möglich, denn nicht immer gerät ein Sohn nach seinen Eltern.
    Glut knisterte in der Feuerstelle. Ringsum flackerten Öllampen, ihr Schein huschte unruhig über die beiden Wandteppiche und erweckte die eingewebten vielköpfigen Schlangenwesen zum Leben, gleich bei Betreten des halbdunklen Raums hatte Tyrkir den Eindruck, als bewegten sich unmerklich ihre verschlungenen Leiber. Ein süßer Geruch erschwerte ihm das Atmen. Zwischen den Wandbehängen entdeckte er ein Holzkreuz, flüchtig nur, denn jetzt nahm Thorgunna seinen Blick gefangen.
    Ihr Lächeln zauberte sie aus blutvollen Lippen und Zähnen, die an eine geschnitzte Elfenbeinkette erinnerten. »Gott zum Gruße! Wie glücklich schätze ich mich, endlich den Ziehvater meines Liebsten als Gast in meinem bescheidenen Hause begrüßen zu dürfen.«
    Keine Trinkhörner, den Willkommensschluck reichte eine Magd in tönernen Bechern. Er schmeckte süß auf der Zunge und brannte die Kehle hinunter. Ringe blitzten, während Thorgunna ihre Finger kreisen ließ. »Nach dem Tod meines Gatten habe ich unsere Wohnhalle zweigeteilt. Die Enge behagt mir mehr. Hier, nahe der Küche, bewirte ich meine Gäste und hinter dem Vorhang pflege ich zu ruhen. Zwei Feuer, und der Rauch zieht doch durch ein und dasselbe Auge ab. Sehr einfallsreich,

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