Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
»Vielleicht wäre das eine Aufgabe für dich. Ja, ich könnte mir gut vorstellen, dass du eines Tages ein großer Sprecher auf dem Thing wirst.«
Leif winkte ab: »Dazu muss mir der Bart erst auf dem Bauch hängen. Jetzt bin ich jung und habe noch etwas ganz anderes vor. Weißt du eigentlich, Onkel, dass im Westen …« Ertappt hielt er inne und sagte nur: »Diesen Plan will ich erst verwirklichen.«
Nebel kam auf, so dicht, dass Tyrkir die Mastspitze nicht mehr sah. Sie segelten mit halbem Tuch und der Hornbläser musste in regelmäßigen Abständen Warnsignal geben, doch keine Antwort kam von einem anderen Schiff. Dann, in der Frühe des fünften Morgens, gab der Nebel sie frei und vor ihnen lagen Inselgruppen im Sonnenlicht, ausgebreitet wie grüne, hügelige Geschenke.
Die Mannschaft jubelte. Leif umarmte den Onkel, als sie beim Näherkommen eine kleine Siedlung entdeckten. Dort fragten sie: »Wo sind wir hier?«, und gleich danach: »Wo finden wir den größten Handelsplatz der Hebriden?«, und waren weitergeschickt worden und hatten schließlich hier in der Hafenbucht von Drimore angelegt.
Ein herzlicher Empfang. Von den vornehmsten Familien des Ortes wurde ihnen Herberge angeboten. Um niemanden zu kränken, und vor allem der teuren Waren wegen, zogen es die beiden Kauffahrer vor, im Bordzelt bei der Mannschaft zu wohnen. Schnell war über dem längs gelegten Rahbaum die Plane gespannt und dankbar hatten sie den Großhändlern und Vornehmen versprochen, beim Gastmahl in deren Häusern über das ferne Grönland zu erzählen.
Das war vor zehn Tagen gewesen. Jetzt saß Tyrkir allein auf dem Achterdeck und wartete. Ein verhangener Morgen. Drüben am Strand schlenderten die ersten Neugierigen an den Buden der Händler vorbei. Nur beiläufig beachtete er das Treiben, seine Fingerkuppe fuhr unablässig vom Mundwinkel die Narbenstraße hinüber zum Ohrwulst und wieder zurück.
Ich muss handeln. Aber wie? Darf ich es dem Jungen einfach verbieten? Sofort verwarf er den Gedanken. Kein Junge mehr, er ist alt genug und ein Mann. Und doch trage ich Verantwortung für ihn.
Leif war letzte Nacht wieder nicht ins Bordzelt zurückgekehrt, hatte zum vierten Male im Hause der Witwe Thorgunna übernachtet. So schön und weltgewandt sie auch sein mag, dachte er, und wenn sie auch die Tochter des reichsten Gutsherrn der Gegend ist, von dieser Frau geht eine Gefahr aus, das spüre ich. Vielleicht hat uns wirklich eine böse Macht auf die Hebriden verschlagen?
Leif! Den goldblonden Haarschopf entdeckte Tyrkir sofort im Hafengedränge; leicht schwankend kam der Fünfzehnjährige näher und mühte sich über die Bordwand. Ohne den Onkel wahrzunehmen, tappte er als Erstes zum Wasserbottich, führte zweimal mit zittrigen Händen die Schöpfkelle an den Mund und trank, dann wollte er in den überdachten Frachtraum steigen.
»Gab es Hammelbraten?«, fragte Tyrkir betont laut, nur um ihn aufzuhalten.
»Ich bin müde.«
»Kaum zu glauben, so frisch, wie du aussiehst.«
Leif schlurfte zu ihm, gähnte und streckte sich neben dem Schemel aus. »Ach, Onkel. Heute Nacht war mir so leicht wie noch nie und auf dem Rückweg bin ich fußhoch über dem Boden gegangen. Glaub mir, ich hab die Erde nicht mit den Stiefeln berührt. Auch jetzt ist mir noch so. Mein Rücken liegt ganz weich, verstehst du, so etwas erhöht über den Planken.«
»Wirklich erstaunlich«, bemerkte Tyrkir trocken. »War denn der Met sehr süß?«
»Alles, was Thorgunna mir anbietet, schmeckt und duftet. Das Honigbrot. Die Finger, die Haut, sogar ihre Stimme.«
»Bisher dachte ich, eine Stimme klingt, aber dass sie auch duften oder schmecken kann, wusste ich gar nicht.«
Leif setzte sich mit großer Anstrengung auf und umarmte seine Knie. »Ja, Onkel, das ist es ja. Bei ihr verwandelt sich alles.«
»Du weckst meine Neugierde. Zu gern würde ich ihren Met versuchen. Vielleicht weiß sie sogar ein neues Rezept, um meinen Wein aufzubessern.«
»Bestimmt. Wir können ja im Herbst gemeinsam Beeren suchen und dann soll sie dir helfen.«
Herbst? Obwohl ihn die Aussicht erschreckte, tastete sich Tyrkir behutsam weiter vor: »Im Winter wird es an Bord zu kalt für uns und die Mannschaft.«
»Hab ich das nicht gesagt?« Leif sah ihn mit glasigem Blick an. »Der Hof ist groß genug. Sorg dich nicht! Thorgunna gibt dir eine eigene Kammer und unsere Leute haben Platz beim Gesinde.« Die Lider fielen zu.
Sanft rüttelte ihn Tyrkir an der Schulter. »So lange kann ich
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