Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
auf einen Schemel. »Nur um Gewalt und Folter von Grönland fern zu halten, habe ich König Tryggvasson den feierlichen Schwur geleistet, selbst das Christentum hier bei uns einzuführen. Und was habe ich erreicht? Mein Vater führt Krieg gegen mich.«
»Ruhig, Junge!«
»Du hast gut reden! Heute Abend sitze ich bei den Knechten.«
»Verdammt, hör auf zu jammern!« Tyrkir sah ihn scharf an. »Diese Männer haben in deinen schlimmsten Stunden auf den Hebriden zu dir gehalten. Es wird dich jetzt nicht umbringen, wenn du mit ihnen das Essen teilst.«
Beide Fäuste presste Leif an die Schläfen. »Ja, ja. Aber wie soll es weitergehen, Onkel?«
»Der erste brauchbare Gedanke. Niemals zurückweichen, sondern weiter voran! Das ist ein Leitsatz deines Vaters, Junge, und wahrlich nicht der meine. Aber vielleicht hilft er uns jetzt.« Tyrkir starrte durch die Türöffnung nach draußen. Ein Weg. Er sah ihn vor sich und Furcht stieg in ihm auf. O Gott, flehte er stumm, du kannst nicht zulassen, dass diese Familie deinetwegen zerrissen wird.
Gefasst wandte er sich wieder an den Ziehsohn. »Ich habe einen Plan, Junge. Nein, frage nicht, dich soll keine Schuld treffen, wenn er scheitert. Ich erwarte nur von dir, dass du ohne Murren dem Befehl deines Vaters gehorchst.«
Leif sprang auf, in seinem Gesicht kämpfte noch Stolz mit Vernunft und endlich sagte er: »Ich vertraue dir, Onkel.«
Den Knechten war es gleichgültig, wo die dampfenden Schüsseln standen. Gleich nach ihrer Rückkehr aus den Wiesen hatten sie von der Anweisung erfahren und so war das Durcheinander in der Wohnhalle ausgeblieben. Wer nicht zu den Christen gehörte, saß vorn in der Halle und die Getauften im Durchgang zum Stall. Als der Jungbauer zwischen seinen Bootsleuten Platz nahm, gab es zwar verwunderte Blicke, doch da der junge Herr stumm seine Schale füllte, wagte keiner, ihn nach dem Grund zu fragen; und bald schon verließ das Gesinde wie stets gesättigt die Halle. Erst kurz bevor die Familie hereinkam, zog sich auch Leif zurück.
Am Tisch der Herrschaft wurde kein Wort gesprochen. Die beiden jüngeren Söhne löffelten mit eingezogenen Köpfen ihren Fischeintopf, selbst Freydis wagte nicht aufzuschauen. Es war, als schwebe ein Felsblock über ihnen, der jeden Moment herunterzustürzen drohte. Tyrkir kaute lange an jedem Bissen und Thjodhild war der Hunger ganz vergangen. Allein der Herr auf Steilhang aß mit grimmigem Genuss, das Fett troff in den grau-roten Bart, zum Abschluss leerte er zwei Kellen Sauermilch hintereinander und rülpste vernehmlich, ehe er sich auf die Hochbank vor dem Langfeuer zurückzog.
Tyrkir begleitete Thjodhild zur Küche. »Lass uns reden«, murmelte er und verließ das Gebäude durch die Hintertür.
Wenig später folgte sie ihm nach draußen, doch sie blieb nicht stehen, sondern stürmte an ihm vorbei in die Weide hinaus. Erst mitten im frisch gemähten Gras drehte sie sich nach ihm um. »Was hast du mir angetan?« In ihren Augen standen Tränen. »Mein Sohn wird verstoßen. Unsere Sklaven sitzen getrennt. Was nutzt der neue Glaube, wenn er den Frieden zerstört?« Sie ballte die Fäuste. »Ich, ich habe mich bemüht. Doch jetzt ist es zu spät. Auch von mir wird sich Erik nicht länger besänftigen lassen. Der Priester muss gehen und das Christentum mitnehmen.« Mit der Schuhspitze häufelte sie Gras zusammen, es fiel ihr schwer weiterzusprechen: »Wenn du auf das Kreuz verzichtest, legen es Leif und die Mannschaft auch ab. Ich kenne mich nicht mehr aus, mein Freund. Hilf mir. Rette unser Glück!«
Ihre Trauer schmerzte Tyrkir und es drängte ihn, die geliebte Frau zu umarmen oder wenigstens tröstend ihre Schultern streicheln zu dürfen. Wie viel leichter würde sie seinen Vorschlag annehmen. »Es gibt kein Zurück«, begann er leise. »Wer die Taufe erfahren hat, der bleibt auf ewig in der Hand des einzigen Gottes. Ob er will oder nicht.«
»Ich verbiete es!« In ratloser Not stampfte sie den Grashaufen in zwei Hälften. »Soll das unsere Zukunft sein? Die Menschen geteilt. Wie lange wird es dauern, bis sie übereinander herfallen?«
»Um das zu verhindern, wollte ich mit dir reden.« Tyrkir zeigte zum Hof hinüber. »Ja, ich habe einen großen Fehler begangen, weil ich hoffte, Erik langsam überzeugen zu können. Und gerade ich hätte es besser wissen müssen. Jetzt überrollt uns die Wirklichkeit wie eine Flutwelle. Thjodhild, wir müssen nach allem greifen, um nicht zu ertrinken.« Er kniete sich vor die
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