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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Während der Ziehsohn den Priester mit Weihrauch und heiligem Wasser vom Schiff abholte, wollte Tyrkir ins Wohnhaus gehen und Thjodhild bitten, mit ihnen gemeinsam das Feld für Friedhof und Bleibe des frommen Mannes auszuwählen. Die Zeit drängte.
    »… et requiem capiat sempiternam. Per dominum nostrum.« Nur zwei Steinwurf westlich von Steilhang, nahe dem Bach, stand Pater Ernestus am Nachmittag und streute Erde ins Grab.
    »Amen«, murmelten Leif und Tyrkir. Auf ein Zeichen hin griffen zwei der christlichen Bootsleute zur Schaufel.
    Thjodhild hatte in Hörweite die Beisetzung mit angesehen. Strahlend kam der Priester auf sie zu. Wie verändert er jetzt aussieht, ging es ihr durch den Kopf. So klein und unscheinbar wirkte er auf dem Schiff in seiner braunen Kutte, doch das weiße, wehende Gewand und dieses Schultertuch verwandelten ihn.
    »Wenn auch der Anlass zur Trauer gemahnt. Ich bin glücklich, nun endlich der Hausfrau des Goden Erik Thorvaldsson zu begegnen.« Er reichte ihr den rechten Handrücken. Thjodhild wusste nichts mit dieser Geste anzufangen und weil ein Händedruck nicht möglich war, fasste sie nur kurz nach den Fingerspitzen.
    »Willkommen auf Steilhang, Pater Ernestus!«
    »Willkommen. Dieses Wort beschenkt mich. Der Herr sei gepriesen, dass er mich nach rauer Fahrt an diesen Ort des Friedens und der Andacht geführt hat. Wie herrlich ist doch der Blick von hier aus über die Wasser des Fjords und hinauf zu den schneebedeckten Bergen.« Ernestus breitete die Arme aus. »Ja, dem Herrn sei Lob und Dank!«
    »Ich muss gestehen, so ganz aus freien Stücken hat sich mein Mann nicht dazu bereit gefunden.« Thjodhild lächelte. »Du solltest ihm besser aus dem Weg gehen!«
    Ein Schatten streifte das glatte, weiche Gesicht. »Leif hat mir vom Streit berichtet und er bekümmert mich.« Gleich setzte das Schwärmen wieder ein. »Doch seinen Vater meinte ich nicht, sondern Ihn, den Herrn über Himmel und Erde. Mein erster Dank gilt dem Lenker aller Geschicke.« Er kehrte zurück. Mit dem Blick eines Brautwerbers umfing er sie. »Mein zweiter Dank gebührt dir. Und ich hoffe, dich bald in unserer Gemeinschaft begrüßen zu dürfen.«
    Obwohl Tyrkir in der Nähe stand und sofort eingreifen wollte, hatte er den letzten Satz nicht verhindern können, verärgert zog er den Priester von Thjodhild weg. »Warum die Eile?« Er zeigte zum schlichten Grabkreuz. »Da steht das erste Zeichen der Christen auf Grönland. Genügt das nicht für heute?«
    Pater Ernestus nickte schuldbewusst. »Es hat mich einfach getrieben. Sie ist eine wahrhaft beeindruckende Frau.«
    »Darin stimme ich dir zu«, bemerkte Tyrkir. Tief unter ihm begann das Wasser zu blinken und zu glitzern. Nur im späten Nachmittag bahnte die Sonne vom Westen her eine Silberstraße quer über die Bucht. »Wenn wir das Erreichte nicht gefährden wollen, solltest du möglichst rasch hier verschwinden.« Er half dem Priester, die heiligen Gerätschaften einzusammeln, und überließ ihn seinem Ziehsohn. »Ich denke, bis wir eine feste Bleibe für unsern Gast haben, ist er im Bordzelt sicherer.«
    Auf dem Rückweg zum Wohnhaus schlenderte Thjodhild neben dem Freund her. Sie fühlte sich leicht und beschwingt. Vielleicht ist es deine Nähe, dachte sie. »Weißt du, warum ich gerade diese Wiese am Bach für den heiligen Hain ausgesucht habe? Nach unserer Ankunft im grünen Land ruhte ich mich dort zum ersten Mal aus.«
    »Ein gutes Omen. Und ich bin dir dankbar dafür.«
    Eine Weile betrachtete sie ihn von der Seite. »Hast du dich verändert?«
    Tyrkir blieb stehen. Ehe er antworten konnte, setzte sie hinzu: »Ich meine nicht du als Mann. Ich frage nur, ob dieser andere Glaube in dir etwas verändert hat?«
    »Nein, zu spüren ist nichts.« Nachdenklich strich er über seine Narbe. »Vor ein paar Monaten noch flehte ich meinen geliebten Tyr oder die anderen Asen um Hilfe an und heute sind es eben Jesus und seine Mutter Maria oder auch der große Gott selbst.« Er hob die Achseln und schmunzelte. »Bis jetzt habe ich nur die Namen ausgetauscht, mehr nicht. Zugegeben, einfacher mag der Christenglaube schon sein, weil statt der vielen jetzt ein einziger die ganze Verantwortung übernommen hat.«
    »Und was ist mit Thomas, deinem Taufnamen? Nimmst du den jetzt wieder an?«
    »Nein, so weit soll das Austauschen nicht gehen. Das wäre Verrat an mir selbst. Alles was ich bin, verbindet mich mit Tyrkir, und daran halte ich fest.«
    Thjodhild schwenkte ihren Umhang.

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