Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
beiden Grasberge. »Du hast Recht, zwei anders denkende Gruppen können nicht lange friedvoll unter einem Dach leben.« Bis auf einen kleinen Rest schob er den linken Haufen wieder zum rechten Haufen. »Begreifst du? Wir müssen Tatsachen schaffen, und zwar schnell. Nur du kannst verhindern, dass sich die Fronten endgültig verhärten.«
»Hab ich nicht schon genug … Nein, sprich weiter! Ich bin zu allem bereit, wenn es nur dem Frieden auf Steilhang nützt.«
Tyrkir erhob sich, in seinem blassen zweigeteilten Gesicht traten Sommersprossen und Narbe deutlich hervor. »Es wird dir erneut Mut und viel Kraft abverlangen. Jedoch Erfolg? Den wage ich nicht zu versprechen.«
Sie gingen über das gemähte Gras weiter in die Dämmerung. Vom Gletscher fuhr eisig der Wind herunter. Thjodhild zog den Umhang fester um die Schultern. Sie fröstelte und wusste erst nicht, ob es die Nachtkühle war oder der Plan, den der Freund ihr unterbreitete. Es blieb kein anderer Weg, das wurde ihr bald klar, und sie musste ihn gehen, und je länger er sprach, umso mehr wollte es auch ihr Herz. »Ist es Verrat an Erik?«
Tyrkir schüttelte den Kopf. »Gott helfe nur, dass ich den Freund zurückgewinnen kann!«
Beim ersten Morgengrauen schlurften nach und nach die Knechte aus dem niedrigen Schlafschuppen, reckten die schmerzenden Rücken und gähnten. Ein neuer Tag, sie sahen zum Himmel, ein guter Tag fürs Heu. Jedoch gleich am Eingang des Wohnhauses rieben sie sich die Augen. Kein gedeckter Tisch, kein morgendliches Kichern und Schwatzen drang aus der Küche. Die Halle war verlassen, selbst über der Glut des Langfeuers lag noch die Asche des Vortages. Nur schwerfällig begriffen die Männer: kein Frühstück.
Zum ersten Mal sollte es auf Steilhang keine warme Mahlzeit vor der Arbeit geben. Erst nach langem Suchen fanden sich in der Nähe des Kuhstalls einige Eimer mit frisch gemolkener Milch und daneben ein Weidenkorb voller Dörrfisch. Auch gut, wenigstens der Hunger konnte gestillt werden. Das Warum und Wieso stand den Sklaven nicht zu und so zogen sie mit Rechen und Gabeln hinaus zum Graswenden.
Als Erik aus der Kammer trat, hockten lediglich Thorvald und Thorstein am blank gescheuerten Tisch. »Wo bleibt Freydis?«, brummte er. Seinen Ältesten vermisste er nicht. »Was ist mit dem Deutschen? Schläft er noch seinen Rausch aus?«
Die Söhne schwiegen, sie zogen es vor, den Vater nicht anzublicken.
Erik nahm seinen Platz an der Stirnseite ein und rief zur Küche: »Ihr könnt jetzt die Suppe bringen! Und mir noch ein Stück vom Seehundspeck. Ich hab Hunger.«
Niemand gehorchte dem Befehl, kein Klappern, nichts rührte sich.
Fragend sah er auf die Söhne. »Eure Mutter hat doch schon lange vor mir das Bett verlassen? Wieso schickt sie die Magd nicht her?« Er hieb mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Antwortet!«
Vorsorglich rutschte der jüngste Eriksohn seinen Schemel etwas nach hinten. »Niemand ist da«, flüsterte er. »Alle Frauen sind weg, auch Mutter«, und sprang auf. Er hatte Glück, der väterliche Arm erreichte ihn nicht, dafür aber traf der Schlag den Bruder in die Seite. »Was heißt das?«
»Der Kleine hat Recht, Vater«, gestand Thorvald. »Die Küche ist leer, ich hab auch in den Ställen nachgesehen. Nichts. Keine Magd zu finden.« Er zog es ebenfalls vor aufzustehen.
»Sie können doch nicht verschwunden sein? Raus mit der Sprache!«
Mit einer stummen Geste bat Thorvald den Bruder zu antworten. Der Elfjährige nahm allen Mut zusammen. »Drüben am Bach, da wo das Kreuz steht und das Haus von dem Priester. Da sind sie jetzt. Mehr weiß ich auch nicht.«
Der erwartete Wutanfall blieb aus, die Schultern des Vaters sanken: »Schon gut, ihr zwei. Verhungern werden wir nicht gleich. Überprüft den Zaun … Ach, egal. Ihr seid alt genug, sucht euch selbst irgendeine Arbeit.« Er stemmte sich am Tisch hoch und verließ die Halle.
Wie ein Wachposten, der die Gefahr vor Augen hatte, ging Erik nahe dem Schafstall neben einem Felsbrocken in Stellung. Weiter westlich sah er das grasbedeckte Haus des Pfaffen und keine Bewegung des Gegners entging ihm. Die Frauen hatten sich am Bachufer versammelt. Etwas abseits entdeckte er auch die Verräter, Leif und den Deutschen. Pater Ernestus stand erhöht vor der Gruppe und manchmal wehte sein Gesang herüber. Später legten die Frauen ihre Kittel ab, streiften dafür weiße Gewänder über. Feierlich stieg der Priester ins Wasser. Mit einladender Geste rief er die
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