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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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klärte Thjodhild ihre Kinder auf. »Nehmt also Rücksicht. Ich verlasse mich auf euch.«
    Wenig später führte sie den frisch gebadeten und mit einem Kittelchen von Leif bekeideten Jungen in die Halle. Er tapste auf knochigen Beinchen neben ihr her.
    Bei seinem Anblick sank den hoch gewachsenen Sprösslingen Eriks des Roten das Kinn.
    »Siehst du, mein Kleiner. Das ist deine Tante Freydis und das sind die Onkel Thorvald und Thorstein. Sag deinen Namen!«
    Der kugelige Kopf wackelte bedenklich. »Ich … bin … Thorgils. Vater … ist … Leif.«
    Kaum hatte er ausgesprochen, drehte sich Thorvald schnell weg. »Wo hast du den her, Mutter?« Und Thorstein prustete los: »Der sieht, der sieht ja aus wie ein Troll.«
    »Schämt euch!«
    Ihre Ermahnung nutzte nicht viel, beide flohen zum Langfeuer und lachten dort lauthals weiter.
    Freydis hockte sich vor ihren Neffen. »Du hast ja einen schönen Kopf«, säuselte sie. »Wie eine Käsekugel. Musst schön Acht geben, dass er dir nicht wegrollt. Und was sehe ich da für feine Zehen und Fingerchen? Welcher Spinne hast du die denn ausgerissen.« Vom weichen Singsang angelockt streichelte Thorgils ihre Nase. Sie ließ es geschehen. »Das gefällt dir wohl, du kleiner, hässlicher Bastard.«
    »Genug jetzt!« Ärgerlich zog Thjodhild sie am Blusenkragen hoch. »Ich freue mich, wenn du dich mit ihm anfreunden willst. Nur bitte, unterlasse diese Worte! Wer weiß, ob er den Sinn nicht doch schon begreift.«
    Thorgils drückte sich an Freydis’ Rockschoß und schlang die Arme um ihre Hüften. »Siehst du, Mutter, er versteht nichts, dafür ahnt er aber schon, wo es einem Mann gut gefällt.«
    »Ach, Mädchen.« Thjodhild schüttelte unmerklich den Kopf, in einem stimme ich deinem Vater zu, dachte sie, wir müssen dich möglichst bald verheiraten, und sagte bittend: »Dies ist der Sohn Leifs. Du würdest ihm und mir helfen, wenn du hin und wieder auf ihn Acht gibst.«
    In den braunen Augen flackerte das seltsame Licht, nur einen Augenblick, dann verlosch es wieder. »Gerne. Sorg dich nicht!« Sie berührte kurz die Hand der Mutter. »Und danke. Ich meine, weil du mir vertraust. Kommt ja nicht so oft vor.«
    Thjodhild nickte und ging zu den Söhnen hinüber. In ihrem Rücken hörte sie die Tochter zu dem Neffen sagen: »Das Grinsen vergeht dir wohl nie. Oh, oh. Was muss mein stolzer Bruder für einen Weibergeschmack haben, dass so ein Prachtstück dabei rausgekommen ist. Aber was soll’s, wir werden dich noch eine Weile anfuttern, sonst frisst dich später keiner.«
    Am nächsten Vormittag trug Freydis den Neffen hinter der Mutter her zum Friedhof hinüber. Der Priester hatte die Kuttenärmel hochgekrempelt und dichtete mit Grassoden die Nordmauer seines neuen Hauses ab. »Seid willkommen im Namen des Herrn!«, rief er den Frauen entgegen.
    »Danke, Pater.«
    Ernestus reichte Thjodhild, dann Freydis die Hand, zögerte kurz und strich dem Jungen über die Locken. »Wen bringt ihr mir, meine Töchter?«
    Tochter oder Töchter! Zunächst hatte diese Anrede ihren Stolz gekränkt, inzwischen aber nahm Thjodhild sie als Eigenart des Priesters hin. »Das ist mein Enkel.«
    »Nicht von mir«, wehrte Freydis gleich ab. »Den hat mein Bruder gezaubert.«
    »Dieser Knabe soll in die Christengemeinde aufgenommen werden«, strahlte Ernestus. »Das gefällt Gott dem Herrn.«
    Thjodhild trat auf ihn zu. »Thorgils ist getauft. Er trägt ein Kreuzkettchen um den Hals. Pater, ich wollte fragen, wie Gott es mit solchen Kindern hält? Die, die …, ach, du siehst ja selbst, ein vollwertiger Mann kann aus dem Wurm nicht werden.«
    Sofort ernüchtert, wischte der Priester seine erdbeschmierten Hände an der Kutte ab. »Ich verstehe.« Er geleitete Thjodhild ins Haus. Freydis war nicht neugierig, sie wollte derweil mit Thorgils am Grab spielen.
    »Setz dich«, bat der Priester. »Bitte warte einen Moment!«, und kniete vor dem Holzkreuz an der Wand nieder.
    Thjodhild sah sich um. Ein Lager mit heugestopften Säcken. Tisch und Hocker. Die Feuerstelle. Bisher hatte sie den ärmlichen Raum ein einziges Mal betreten. Und das auch nur, weil am letzten der drei vergangenen Sonntage die Messe wegen schlechten Wetters hier drinnen gefeiert worden war. Sosehr sich die Gemeinde auch zusammendrängte, weder die Christinnen von Steilhang allein noch die Neugetauften vom Nachbarhof hatten hier Platz gefunden. Dem kleinen Priester war nichts anderes übrig geblieben, als die Messe viermal zu

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