Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
wiederholen.
Ernestus kehrte aus seinem stillen Gebet zurück, legte sich eine Stola um und da kein zweiter Hocker vorhanden war, blieb er an der Wand stehen. »Ich will nicht verhehlen, wie tief mich dein Besuch bewegt. Bisher habe ich getauft, habe die Messe gefeiert und bedenkt man, wie kurz ich erst hier bin, war dies schon eine Gnade. Heute aber kommst du und stellst eine erste Frage an den Glauben und damit darf ich den Dienst im Namen des Herrn wahrhaftig antreten. Denn er antwortet dir aus meinem Mund.«
Beeindruckt durch die Feierlichkeit in seiner Stimme fragte Thjodhild leise: »Und was sagt Gott zu solchen verkrüppelten Wesen?«
»Selig sind die geistig Kranken, denn ihnen ist das Himmelreich gewiss. Begreifst du, auch Thorgils ist ein Geschöpf unseres Gottes. Er liebt ihn.«
Thjodhild musste es genau wissen. »Also darf selbst eine Missgeburt nicht in der Wildnis ausgesetzt werden.«
»Gott verbietet es.«
»Das ist gut so.« Immer schon hatte sie diesen Brauch verabscheut, nun stimmte ihr der neue Glaube zu. Sie fühlte sich bestärkt und wollte dafür danken. »Wenn ich an unsern langen Winter denke …«, begann sie. »Und diese Enge hier betrachte. Würde nicht eine eigene Wohnhalle unserm Gott und seiner Familie besser gefallen?«
»Du meinst eine Kirche?« Ernestus verschlug es den Atem. »Meine Tochter!«
Thjodhild stand auf. »Abgemacht. Du hast mein Wort. Sie wird an dein Haus gebaut, mit einer Tür dazwischen, damit du den Gottesraum vor der Messe anwärmen kannst. Wer friert, kann dir nicht lange zuhören.«
»Meine Tochter.«
»Ich bin nicht …« Sie besann sich und schmunzelte. »Schon gut. Heute Abend schicke ich einige Knechte zu dir. Sie sollen gleich die Umrisse abstecken. Wir müssen uns beeilen, bevor der erste Schnee fällt.«
Ein jäher Zweifel befiel den Glücklichen. »Und du meinst, dein Mann hätte nichts einzuwenden?«
Da hob sie das Kinn. »Ich bin die Herrin. Bis Erik wieder gesund ist, führe ich den Gutshof. Ich allein.«
Hoch aufgerichtet verließ Thjodhild die Behausung. Draußen tollte ihre Tochter mit dem Jungen, wälzte ihn im Gras hin und her und er blökte vergnügt wie ein Lamm.
»Stell dir vor, Onkel, wir hätten nur vier Mutterschafe und einen starken Bock auf unsere Fahrt mitgenommen!« Leif wies über die grünen Hügel der Landzunge und die Flussmündung in der Bucht. »Ich bin sicher, in drei Jahren blökte hier schon eine stattliche Herde.«
Tyrkir hatte Mühe, seinen ausholenden Schritten zu folgen. »Du bist wie dein Vater«, spottete er. »Kaum hatten wir damals auf Grönland das erste Haus errichtet, da rannte er herum und obwohl nichts außer Wildnis da war, sah er Schafe und Ziegen grasen, die Pferde springen und hörte im Stall bereits die Milchkühe brüllen. Nein, Junge, lass uns dankbar sein, dass wir dieses gesegnete Land gefunden haben und uns schon über ein festes Dach über dem Kopf freuen dürfen.« Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Ziehsohn und dachte, vor allem bin ich erleichtert, dich so voll Tatendrang und übermütig neben mir zu sehen.
Der plötzliche Starrkrampf, die Atemnot gleich nach ihrer Ankunft hatte noch den Rest des Tages und auch während der folgenden Nacht angedauert. Erst am nächsten Morgen war Leif davon befreit gewesen. Wie nach einem Saufgelage hatte er sich mit schwerem Kopf aus seinem Fellsack gequält. Tyrkir ahnte, welche Macht nach Leif gegriffen hatte, und war sicher, dass auch der Ziehsohn es wusste. Beide aber wagten nicht, Thorgunna zu erwähnen, aus Furcht, sie könnte allein durch das Aussprechen ihres Namens herbeibeschworen werden. »Wir sollten wirklich zufrieden sein«, murmelte er. »Der Winter kann jetzt getrost kommen.«
»Ich glaube nicht, dass es kalt wird.« Mit den Fingern kämmte Leif durch seine leuchtend rote Mähne. »Ist dir schon aufgefallen, wie lang die Tage hier noch sind, wie viel Kraft die Sonne hat? Und das Mitte September! Bestimmt fällt im Winter kaum Schnee und Frost gibt’s gar keinen.« Er dehnte wohlig den Rücken und ließ die Armmuskeln spielen. »Das Leben dauert in meinem Land eben länger, Onkel!«
»So wundersam ist es nun auch nicht«, bemerkte Tyrkir.
Auf dem Weg zurück begegneten ihnen einige Bootsleute, sie hatten weiter oben am Fluss Lachse gefangen. Voller Stolz zeigten sie ihre Beute. »Das glaubt uns zu Hause keiner, Herr!« Und mit Recht, selbst der kleinste Fisch war größer als die dicksten Lachse in der Fjordbucht unterhalb von
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