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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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zögerst du immer noch? Die Stimmung unserer Leute sinkt von Stunde zu Stunde.«
    »Morgen.« Tyrkir nickte vor sich hin. »Morgen wagen wir es.« Langsam stieg er herab.
    »Was bedrückt dich, Onkel?«
    »Die Grenze, Junge.« Und nach einer Weile setzte er leise hinzu: »Himmel und Erde schweben im leeren Raum, das habe ich dir schon als Kind erklärt. Auch, dass die Welt von Wasser umgeben ist. Wer sich zu weit übers Meer wagt, der kommt entweder zum Reich der Riesen oder stürzt irgendwann gleich über den Rand in gähnende Leere.«
    Leif sah ihn betroffen an. »Aber, Onkel, ich dachte, seit wir Christen sind, gäbe es keine Weltschlange und Riesen mehr. Gott hat sie doch alle vertrieben?«
    »Aus Midgard schon. Wir wollen nur hoffen, dass er sich auch jenseits des Wassers um sie gekümmert hat.«
    »Ich vertraue ihm, Onkel.«
    »Viel mehr bleibt uns auch nicht übrig. Du hast gefragt und jetzt weißt du, weshalb ich so vorsichtig bin.« Tyrkir zwang sich zu einem Schmunzeln. »Und morgen setzen wir Segel und lassen uns überraschen, was sich an der Grenze befindet.«
    Weder die Töchter Rans noch Windflaute hielten den Falken auf. Er jagte vor beständiger Nordostbrise über die Wellenkämme und nach drei Tagen und Nächten rief Tyrkir vom Bug: »Land! Land voraus!«
    Erst beim Näherkommen fiel auch die letzte Sorge von ihm ab. Eine flache Steinwüste, und landeinwärts ragten hohe Gletscher in den bewölkten Himmel.
    Sie ankerten vor der Küste und Leif befahl der Mannschaft, an Bord zu bleiben. Er ließ sich nur mit dem Ziehvater und Egil an den Strand rudern.
    Noch saßen sie im Beiboot. Unschlüssig kratzte Leif seinen Kinnbart. »Was jetzt, Onkel?«
    »Dein Vater hat damals nicht so dumm gefragt.« Tyrkir wedelte mit der Hand. »Na, los! Schließlich wolltest du neue Ufer entdecken, also setze auch als Erster deinen Fuß darauf!«
    Ein Jubelschrei, und Leif sprang mit beiden Beinen zugleich aus dem Boot. Nachdem er ein Stück weit über die platten Steinquader gerannt war, winkte er: »Genügt das?«
    Seine Freude steckte an und Egil lief zu ihm, sie schlugen sich auf die Schultern und tollten herum wie junge Pferde, die den Winterstall verlassen hatten. Tyrkir folgte ihnen langsam.
    Mit einem Mal blieben beide stehen. Der Ziehsohn schlug sich an die Stirn. »Warum lachen wir eigentlich?« Er wies über die Strandöde. »Kein einziger Grashalm. Jedes Schaf würde hier in wenigen Tagen verhungern. Diese Gegend ist es nicht einmal wert, von ihr zu erzählen. Kommt, wir fahren weiter! Ich will ein Land finden, auf das ich stolz bin!«
    Schon war er auf dem Weg zurück, doch jetzt griff Tyrkir ein. »So nicht, du großer Entdecker. Ganz gleich, wie es hier auch aussieht. Denke an die Seefahrer, die vielleicht nach uns hierher finden. Du musst der Insel einen Namen geben.«
    »Also gut.« Kurz bückte sich Leif und schlug mit der Hand auf den harten Boden. »Weil du so überaus einladend öde bist, sollst du den Namen Flachsteinland erhalten.«
    Während das Beiboot wieder zum Schiff gerudert wurde, berührte er den Arm des Ziehvaters. »Wie war das damals? Ich meine, hat Vater auch gleich Namen verteilt?«
    »Erik?« Leise lachte Tyrkir in sich hinein. »Er war nicht so einfallsreich wie du. Ganz gleich, wo wir ankerten oder unser Zelt aufschlugen, jeden Fleck taufte er nach seinem Namen. Nur Grönland, auf diese Idee ist er erst kurz vor unserer Rückfahrt gekommen.«
    Hatte sich auch das erste Ziel enttäuschend dargeboten, der Erfolg hob die Stimmung. Mit leuchtenden Augen stand Leif an der Pinne, bei vollem Tuch ließ er in Richtung Süden segeln und oft schickte er Egil ungeduldig nach vorn zum Drachenkopf, um sich zu vergewissern. Endlich, nach weiteren zwei Tagen, meldete Tyrkir wieder: »Land!«
    Zwar betraten sie einen weißen Sandstrand, sahen in der Ferne unendliche Wälder, indes auch hier lud den Entdecker nichts ein. »Dieses Land soll Waldland heißen, einen besseren Namen hat es nicht verdient.«
    Die Eile, mit der Leif erneut in See stach und den Leinenwachen weder nachts noch bei Tag ausreichend Ruhe gönnte, erschreckte Tyrkir. Manchmal erinnerte ihn der Ausdruck im Gesicht des Ziehsohns an dessen beseligten Zustand, mit dem er auf den Hebriden morgens an Bord gewankt kam. Nein, keine Gefahr, beruhigte er sich, hier gibt es weder lüsterne Zauberinnen noch Riesen.
    Von einer Stunde zur nächsten fühlte Tyrkir sonderbare Hitze aufsteigen. Verstohlen blickte er sich um, auch die Mannschaft

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