Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
strich sein Finger über die glänzende Haut. »Jetzt hat sich unsere Fahrt gelohnt. Koste, mein Junge, koste!«
    Leif zerkaute eine Beere. »Nicht schlecht.« Gleich nahm er noch eine zweite. »Süß und leicht kribbelt der Geschmack auf der Zunge, als wären sie vergoren …«
    »Nicht schlecht?!«, unterbrach der Onkel gekränkt und gab Egil eine Kostprobe. Auch dessen Begeisterung genügte ihm nicht. »Ihr Hohlköpfe. In jeder Beere ist ein kleiner Schluck Wein, versteht ihr? Na gut, sie wachsen nicht an Ranken, sondern an Sträuchern. Aber das sind Weinbeeren. Ich muss sie nur auspressen und schon hab ich fertigen Wein. So ist das!«
    Leif klatschte in die Hände. »Jetzt weiß ich, wie mein Land heißen soll. Weil Thorgunna mich lähmte, kam ich nicht dazu. Dir und deinem Wein zu Ehren, Onkel, taufe ich es Vinland!«
    »Wirklich?« Gerührt stopfte Tyrkir den Rest der Köstlichkeiten in den Mund. »Du bist ein guter Junge.«
    »Und glücklich, weil ich dich wiederhabe.« Leif umarmte ihn. »Wir werden Sträucher ausgraben, damit du zu Hause Wein züchten kannst. Ach, Onkel, du ahnst ja nicht …« Das Lachen erstarb, Leif griff sich an die Kehle, rang nach Atem. »Der blaue Seidenhimmel«, keuchte er und zeigte zum Rand der Lichtung. »Da. Dort steht ihr Himmelbett …« Eine Weile noch konnte ihn der Onkel halten, dann stürzten beide ins Moos.
    Der Sommer auf Island war nass gewesen. Trotz aller Gebete zu dem neuen Gott kam die ersehnte Trockenzeit sehr spät. Und die Gutsherren am Ufer des Breidafjords konnten erst jetzt im September mit der Heuernte beginnen. Jede Hilfe wurde benötigt.
    Die kleine rundliche Hausfrau des Bauern zu Frodisach hatte seit drei Nächten nicht mehr geschlafen und nicht das zu nasse Gras, sondern Schmuck, Kleider und Schuhe raubten ihr den Schlaf. Die Kostbarkeiten gehörten der vornehmen Dame Thorgunna. Als Fahrgast war sie mit einem irischen Handelssegler von den Hebriden herübergekommen und wartete seit Tagen im Hafen ungeduldig auf die Weiterfahrt nach Grönland.
    Ein einziges Mal hatte Thurid einen flüchtigen Blick auf die Schätze werfen dürfen. Sie hatte mit sich gerungen, doch vergeblich: Neugierde und Glitzersucht waren stärker und heute stieg sie entschlossen an Bord. »Vor dem nächsten Frühjahr gibt es keinen günstigen Wind«, begann sie vorsichtig. »Glaub mir, ich kenne mich aus.« Und die große eisenbeschlagene Truhe fest im Blick, bot sie der geheimnisvollen Schönen an: »Wohne doch den langen Winter über bei uns auf Frodisach. Sei mein Gast!«
    »Zwar pflege ich nicht bei Bauersleuten zu nächtigen.« Thorgunna schritt mit wiegenden Hüften vor der Hausfrau eine Weile hin und her. »Dennoch sollte ich der Not gehorchen. Wie ärmlich deine Behausung auch sein mag, gewiss bietet sie mehr Bequemlichkeit als diese schmutzige Enge hier im Bordzelt.«
    »Soll das heißen, du willigst ein?«
    »Ich habe mich soeben entschieden.«
    Von den Knechten war das Gepäck abgeholt worden und gleich nach Thorgunnas Ankunft auf Frodisach hatte die Hausfrau sie zur Kammer geführt. Jetzt stand Thurid mit halb geöffnetem Mund an der Schwelle, ihr Herz klopfte. Endlich, die Schlösser fielen und Thorgunna klappte langsam den hölzernen Deckel auf. Zunächst entnahm sie der Truhe ein weißes, an den Rändern besticktes Tuch und breitete es über die heugestopfte Matratze.
    »Darf ich fühlen, bitte!« Andächtig ließ Thurid die Hände über das Laken streichen. »So wunderbar.«
    »Das ist bestes englisches Linnen, meine Liebe.«
    Seidenkissen kamen zum Vorschein und entlockten der Bäuerin verzückte Schreie.
    »Ich benötige vier Stricke, überdies vier lange Stöcke.« Kaum ausgesprochen, da war das Gewünschte zur Stelle. »Befestige je eins der Seile an den Ecken der Kammerdecke.« Der geheimnisvolle Ton in der Stimme schürte die Spannung. Feierlich zog Thorgunna ein blaues Seidenwunder aus der Schatztruhe. Erst begriff Thurid nicht, sie hob und senkte den Busen, während sie nach Anweisung der Dame die losen Strickenden durch Ösen fädeln musste. Als schließlich der ausgespannte Stoff, gestützt von Stöcken, über dem Lager schwebte, wagte Thurid kaum noch zu atmen. »Was ist das?«
    »Sei nicht so ungeduldig!«
    Thorgunna reckte die Arme, griff an die wulstigen Ränder, und wie von Zauberhand gelöst fielen wolkenleichte Vorhänge herab.
    »Noch nie«, hauchte die Bäuerin, »noch nie habe ich so etwas Kostbares gesehen.«
    »Ich wäre auch erstaunt, meine

Weitere Kostenlose Bücher