Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
gegen mehr als zwanzig? Selbst auf dem Thing wäre die Sache eindeutig. Nein, Thorbjörn, sosehr ich dich als Freund achte, wir, die von mir einberufenen Geschworenen und ich, haben beratschlagt und sind zu einer einstimmigen Entscheidung gekommen. Schließlich gilt es den Frieden in meinem Bezirk zu sichern.«
Der Großbauer ließ die Schultern sinken.
»Einen Gefallen aber erbitte ich von dir«, setzte Ulf Einarsson nach. »Sag deinem Schwiegersohn, dass er sich endlich bekleiden soll. Irgendeinen Fetzen. Verdammt, ich will kein Urteil sprechen und dabei einen Schwanz und einen Arsch anstarren müssen!«
Ohne die Aufforderung abzuwarten, riss der Rote dem Freund das Hemd aus der Hand. Nur über den Kopf konnte er es streifen, der verletzte Arm behinderte ihn, Tyrkir bemühte sich zu helfen, vergeblich, beide waren zu ungeschickt. »Bei Thor!«, schimpfte Erik gereizt durch den Stoffwulst vor seinem Gesicht. »Diese Idioten. Was soll der Aufwand, nur um mir ein paar Silberstücke wegzunehmen? Diese eingebildeten Kerle.«
»Nicht so laut«, warnte Tyrkir. »Sonst …«
»Ach was.« Der Rote befreite sich wieder von dem Hemd. »Ihr habt’s alle gesehen. So geht das nicht. Seid ihr jetzt zufrieden?«
Mit versteinerter Miene wartete der Gode, und schließlich schlang Tyrkir dem Nackten notdürftig das Hemd um die Lenden.
Erik funkelte die Männer an. »Das reicht. Sagt, was zu sagen ist, und dann lasst mich endlich zufrieden.«
Eine Handbewegung des Richters, sofort bildeten seine Geschworenen einen Halbkreis hinter ihm und nahmen die Kopfbedeckungen ab. »Erik Thorvaldsson, du bist des feigen Mordes an zwei Männern angeklagt und für schuldig erklärt worden.«
Wie nach einem Schlag schüttelte der Hüne den Kopf. Neben ihm hielt Tyrkir den Atem an. Nein, flehte er stumm, so weit dürfen sie nicht gehen.
»Mit Rücksicht auf deinen ehrenwerten Schwiegervater hat der Rat Milde walten lassen und nicht, wie es das Gesetz erlaubt, dich geächtet und für vogelfrei erklärt. Höre deine Strafe: Binnen zwei Wochen hast du das Habichtstal und meinen Gerichtsbezirk zu verlassen. Jeder, der dich nach dieser Frist auf unserm Gebiet antrifft, darf dich straflos töten. Diese Verbannung gilt für drei Jahre.«
Bleich und starr stand Erik da. Tyrkir blickte zum blauen Himmel. Hört ihr nicht? Das Urteil ist gefällt, die Gemeinschaft hat uns ausgeschlossen. Hört ihr, Unrecht ist geschehen. Doch kein Gott griff ein.
Der Gode schritt mit den festlich gekleideten Bauern zu den Pferden. Im Sattel richtete er noch einmal das Wort an den Verurteilten: »Besser, du wärst nie hierher gekommen. In meinen Tälern ist kein Platz für solche Unruhestifter und Totschläger.« An Thorbjörn gewandt fuhr er fort: »Ich bedauere dich, dass du deine Tochter diesem Fremden zur Frau gegeben hast. Dennoch bleibst du auch in Zukunft unser Freund und guter Nachbar.«
Er gab das Zeichen zum Verlassen des Hofes. Auf dem Weg trennten sich die Reiter. Eine Staubwolke zog hinauf ins obere Tal, die andere stand noch eine Weile tiefer unten am Felsvorsprung, ehe sie über dem Fluss verwehte.
»Sollen wir rasten?« Tyrkir zügelte sein Pferd und ließ es neben der Kutschbank des Planwagens hertraben. »Du musst uns nur Zeichen geben.«
»Bin ich alt und krank?« Breitbeinig, ihren Rock bis übers Knie geschürzt, die Stiefel gegen die Fußlatte gestemmt, saß Thjodhild auf dem Bock und blickte kurz zur Seite. »Eine Pause genügt mir, genau wie euch.«
»Ich dachte nur, weil eine Frau …« Tyrkir wischte über sein verschwitztes, sommersprossiges Gesicht. »Na ja, wir Männer haben es bequemer … Wenn du verstehst, was ich meine. Wir müssen uns dabei nicht hinhocken.«
»Verschwinde!«, drohte sie und konnte das Lachen kaum unterdrücken. »Kümmere dich um die Tiere, ich komme schon zurecht.«
»Verzeih. Ich wollte nicht …« Eilig wendete Tyrkir das Pferd.
»Sei nicht eingeschnappt!«, rief sie ihm nach. »Du meinst es gut, ich weiß es.« Kaum war er aus ihrem Blickfeld nach hinten entschwunden, wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Ich hab’s gern, wenn du um mich besorgt bist.«
Seit heute Morgen waren sie auf der Uferstraße des Hvammsfjordes unterwegs. Die Wagenräder ächzten bei jedem Loch, jedem Buckel der steinigen Fahrspuren. Hin und wieder drehte sich Thjodhild um und spähte durch die halb geöffnete Plane ins Innere. Trotz Holpern und Schaukeln schlief ihr Kind.
Zwischen den Kästen rechts und links war seine Wiege
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