Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
aus. Sofort ging der Unterricht weiter. »Nein, nein. Runter damit. Beim Loki, ihr aus dem Norden versteht wohl nichts vom Feiern?«
Tyrkir versuchte zu erklären, er müsse sich für seinen Herrn nüchtern halten und überhaupt sei er kein großer Trinker.
Die Ausflüchte ließ der Knecht nicht gelten, im Gegenteil, sie bewirkten, dass er es als seine Pflicht ansah, dem schmächtigen Verwalter die Kunst des schnellen Rausches beizubringen. »Drei Tage und zwei Nächte sind wir so gut wie unsere Herrschaft. Das müssen wir ausnutzen, mein Freund. Hier, nimm!«
Und Tyrkir trank. Kein Streit, kein böses Wort während des Gelages, dachte er bekümmert, auch ich habe den Eid geleistet. Heute werde ich diesem Kerl nicht entkommen. Und er trank.
Das starke, bittere Bier rumorte in seinem Magen. Keiner Lobrede, nicht einmal den Versen zu Ehren des Gastgebers durfte er zuhören, und als endlich die Holzbretter mit Braten herumgereicht wurden, drehte sich die rauchstickige Halle bereits. Er schmeckte das Fett, kämpfte gegen Übelkeit, und dazu dröhnte ihm die Stimme seines Lehrmeisters ins Ohr: »Sauf, dann geht’s leichter!«
War es der siebte? Nein, zwölf, zwölf waren es bestimmt. Der Krug glitt Tyrkir aus der Hand; Wellen schwappen ins Schiff, stellte er fest, wir sinken, und wollte aufstehen, und langsam kippte er seitlich vom Klotz und schlief.
»Schade«, brummte der Waffenknecht. »Ein ehrlicher Kerl, obwohl er schreiben kann, aber richtig saufen, dazu taugt er nicht.«
Bootsplanken knarrten, ächzten ganz dicht am Ohr, dann wieder weiter entfernt. Faul schmeckte das Wasser. Im Auf und Ab versuchte Tyrkir sich umzudrehen. Vergeblich. Ein Sack voller Fleisch lag auf seiner Brust. Nein, Fisch muss es sein. Wir sind mit Thorbjörn hinausgefahren. Aber wieso haben wir den Fang in einen Sack gesteckt?
Die Frage weckte ihn. Mit geschlossenen Lidern versuchte er Ordnung zu schaffen. Nur schnarchenden Männern gelingt dieses unentwegte Grunzen und Schnauben, dieses langgestoßene Zischen. Also kein Schiff, ich befinde mich in der Wohnhalle. Das Bier hat mich umgeworfen, zu früh wie einen Knaben, viel zu früh. Irgendwann muss auch das Fest über mir eingeschlafen sein!
Er betastete das Gewicht auf seiner Brust, fühlte Bart und Kinn. Tyrkir öffnete die Augen und blickte ins aufgerissene Maul des Waffenknechts. Mit jedem Ausatmen entströmte ihm ranzig säuerlicher Geruch. Erst den Wanst voll schütten bis zum Rand, dann Braten nachstopfen! Bei der Erinnerung würgte es Tyrkir.
Leicht hob er den Kopf des Schnarchenden an, rutschte darunter vor und legte ihn auf den gestampften Torfboden. Mithilfe des Hockers stützte er sich hoch.
Wie nach einer verlorenen Schlacht sah es in der Halle aus. Da und dort flackerten noch Tranlampen. Im bläulichen Rauch erkannte er reglose Gestalten. Kleinbauern und Fischer schliefen ausgestreckt oder zusammengerollt, dort wo der Rausch sie übermannt hatte, einige umklammerten noch den Krug. Die meisten der Gutsherren lagen über die Tischbretter gesunken, das Gesicht inmitten der Essensreste.
Tyrkir tappte entlang der Feuerstelle zu den Ehrenplätzen und fand Erik neben Thjodhilds Onkel, sie lehnten mit den Köpfen aneinander und schnarchten im gleichen Takt.
Wo waren die Frauen? Der hintere Bereich der Halle war leer, Schüsseln und Becher weggeräumt. Wie klug sie sind, er presste seine schmerzenden Schläfen, hätte ich doch nicht …, wäre ich doch auch rechtzeitig ins Bett … Er kehrte um und wollte zum Ausgang.
»Ein schöner Morgen!«
»Wer sagt das?« Beinah wäre er über die hagere Gestalt vor ihm gestolpert. Askel stützte sich halb auf, sein Blick war wach und ernst. »Unser Heiland hat nichts gegen das Trinken, aber solche Säufer sind ihm ein Gräuel.«
»Wen meinst du?«
»Jesus Christus.«
»Schon gut.« Mit fahrigen Handbewegungen ging Tyrkir weiter. Nicht auch der noch, dachte er, als er durch den Flur nach draußen stolperte.
Kalt war es, der Wind biss und trieb ihm Schneeflocken ins Gesicht. Tief atmete er ein, keuchte im selben Moment vor Schmerz, wie ein Eisdolch stach die Luft in seine Brust, traf tief in den Magen und er hustete, würgte und spuckte die Nacht aus. Großer Tyr, schlafen muss ich, nur schlafen. Mit Mühe erreichte er die Scheune. Heuduft empfing ihn und er ließ sich ins Weiche fallen.
Schnee fiel den ganzen Tag, bald bedeckte er das Grasdach des Wohnhauses, lag knöcheltief im Innenhof und es schneite weiter. Die Gäste
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