Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Handzeichen drängte Thorbjörn den Roten zu schweigen.
Askel hob die mageren Schultern. »Ich erzähle euch die Geschichte vom wundersamsten Fischzug, den es je gegeben hat. Unser Heiland Jesus …«
Raunen ging durch die Halle. Bärte wurden gekratzt, einige stützten den Kopf in die Hände, andere seufzten ergeben. Die Frauen tauschten mitleidige Blicke.
»Also, unser Herr Jesus kam am späten Vormittag an einen schönen See. Ziemlich heiß war es. Da standen die Fischer dort am Ufer und säuberten ihre Netze. Nichts hatten sie gefangen. Na ja. Unser Heiland lässt sich von einem Fischer etwas hinausrudern und predigt vom Boot aus den Männern am Strand etwas von dem großen Gott, seinem Vater.«
»Wie heißt der Gott?« Erik rieb die Knöchel aneinander. »Odin hat keinen Jesus als Sohn. Sag, wie der Gott heißt!«
Verwundert sah der Magere zur Ehrenbank. »Nur Gott, weil er der größte und einzige ist.«
»Was?!«
Schnell fasstc Thjodhilds Onkel nach dem Arm des Roten und flüsterte auf ihn ein.
»Was?« Nicht mehr so laut, dann hatte Erik begriffen. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich zurück. »Ein Christ«, brummte er. »So was hätt ich hier nicht erwartet.«
»Nach der Predigt sagte Jesus zu den Fischern: Weil ihr mir so ruhig zugehört habt, will ich euch belohnen. Fahrt jetzt sofort mit eurem Boot wieder auf den See und werft die Netze aus! Nur zu, ich verspreche euch einen großen Fang.« Askel verschränkte die Arme. »Ihr könnt euch die Gesichter der Männer vorstellen. Die ganze Nacht hatten sie nichts im Netz und jetzt sollten sie es ausgerechnet bei hellem Sonnenschein noch mal versuchen. Keine Widerrede, sagte unser Herr Jesus, glaubt mir einfach. Tja, was soll ich euch sagen? Zwei fuhren wirklich raus. Und kaum zogen sie die Netze durchs tiefe Wasser, da wurden sie schwer.«
Misstrauisch sahen einige den Mageren an.
»Sie griffen in die Maschen. Aber es waren so viele Fische, dass sie das Netz nicht alleine einholen konnten. Ein zweites Schiff kam zur Unterstützung. Ich sage euch, beide Boote waren so voll mit Fischen, dass sie kurz vor dem Ufer beinah gesunken wären.« Triumphierend blickte Askel in die Runde. »Das könnt ihr mir glauben, diese Geschichte ist wahr. Allein unser Heiland, der Sohn des einzigen Gottes, besitzt solche Wunderkräfte.«
Statt Applaus erntete der Magere nur betretenes Schweigen.
Seit dem Wort Christ hatte Tyrkir den Freund nicht mehr aus den Augen gelassen. Die Lippen bebten und als Erik aufsah, stand heller Zorn in seinem Blick. Mit der Faust hieb er auf die Tischplatte. Ehe er losbrüllen konnte, sprang Tyrkir auf. »Netze! Wisst ihr, wer das erste Netz geknüpft hat?«
Kurz entschlossen zog er Askel vom Holzklotz und stieg selbst hinauf. »Ich will euch diese Geschichte erzählen.«
»Wir sind gespannt!«, rief der Gode und mit flehendem Blick auf Erik bekräftigte er: »Wir freuen uns alle darauf, nicht wahr, mein Freund!«
Der Rote öffnete die Faust und stieß den Atem aus. »Schon recht, der Schlaukopf versteht was vom Erzählen.«
Langsam hob Tyrkir den Finger und wies zum Windauge hoch über dem Langfeuer. »Folgt mir dort hinaus und steigt mit mir höher bis nach Walhall. Im goldenen Saal sitzen die Götter zusammen. Nie waren sie so zornig wie heute; Thor hätte beinah sogar seinen Hammer zwischen den Fäusten verbogen, wenn Freyr ihn nicht daran gehindert hätte.«
Verblüffte Rufe unterbrachen ihn. Erik beugte sich vor: »Ist das wahr?«
»Wenn ich’s sage. Der Zorn ist so groß, dass selbst in Odins einzigem Auge die Wuttränen stehen.«
»Warum, Schlaukopf?«
Tyrkirs Stimme verdunkelte sich. »Die Götter haben erfahren, dass Loki, dieser schwarzhaarige, heimtückische Lügner, Schuld am ewigen Tod des schönen Frühlingsgottes Baldur trägt.«
In der Stille setzte er neu an: »Aber jetzt ist das Maß voll. Die heilige Gemeinschaft schwört Rache. Loki soll für diese und alle anderen Untaten büßen. Entschlossen besteigt Odin seinen goldenen Hochsitz und wischt sich das Wasser aus dem Auge. Ihr wisst, von diesem Platz aus sieht er alles, was oben in Asgard und hier bei uns in Midgard geschieht. Wo hält sich Loki verborgen?« Mit der Hand bedeckte Tyrkir das rechte Auge, und während er sich auf dem Holzklotz drehte, spähte er einäugig durch die Halle.
»Da!« Sein Finger schnellte ins Knäuel der Kleinbauern neben dem Langfeuer. »Da ist er!« Sofort rückten die Erschreckten zur Seite, selbst Askel brachte sich in
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