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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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lange.«
    Tyrkir beugte sich über die Kuhhaut. »Geht es ihm gut, geht’s mir auch gut.«
    »Antworte!«
    Die Nadel berührte nicht das Leder. »Ich bin Eriks Verwalter. Vor allem aber bin ich sein Freund. Deshalb.«
    In den Mundwinkeln, eingerahmt vom sorgsam gestutzten Bart, zuckte es. »Neid erfüllt mich. Ich wüsste keinen meiner Knechte, der so von mir spricht. Nein, sei beruhigt. Erik bedeutet mir viel mehr. Ohne Bedenken würde ich ihm bei rauer See das Ruder meines Seevogels überlassen und mich schlafen legen.« Der Gode fuhr mit dem Finger den Nasenrücken hinunter. »Askel! Auch Askel der Magere muss eingeladen werden.« Nach einem tiefen Seufzer setzte er hinzu: »Auf ihn muss ich ein wachsames Auge haben, sonst verdirbt er den meisten die Festlaune.«
    »Trinkt er zu viel?«
    »Im Gegenteil. Zu wenig.« Thorbjörn betrachtete die erste Rune von Askels Namen. »Sein sparsamer Biergenuss ist leicht zu ertragen. Nein, es sind seine Geschichten, die mir Sorge bereiten.«
    »Ich dachte, gerade sie heben die Stimmung jedes Gelages. Auch ich beherrsche diese Kunst …«
    »Mag schon sein. Doch Askel erzählt stets nur von einem Mann und dessen Wundertaten. Zum ersten Mal hat er wohl am Königshof in Dänemark von ihm gehört. Und seit der Rückkehr ist er wie verwandelt.« Nach einer Pause setzte Thorbjörn hinzu: »Askel ist Christ, wenn du verstehst, was das bedeutet.«
    Mit einem Mal beugte sich Tyrkir noch tiefer über die Kuhhaut und schrieb nachdenklich Rune nach Rune. Erinnerung drängte sich ihm auf. Damals, er war ein kleiner Junge. Das Dorf am Rhein tauchte schemenhaft aus dem Nebel auf. Deutlich sah er allein die geduckte Steinkirche. Und in dem Raum brannten Kerzen. Darüber hing das Bild mit der Frau und dem Kind. Jetzt fiel ihr Name ihm wieder ein. Maria. Auch der Name des Sohnes.
    »Was schreibst du da? Jesus?«
    Tyrkir fuhr zusammen. »Hast du mir den Namen nicht gerade diktiert?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Jesus heißt der Mann, dieser Wundertätige.« Der Richter lachte dünn. »Du erstaunst mich schon wieder. Nein, Askel wird von allen der Magere gerufen. Diesen Jesus dürfte ich nicht einladen, selbst wenn er in meinem Bezirk wohnen und mir seine Stimme geben würde.«
    Mit zwei breiten Querbalken überbrannte Tyrkir die letzten Zeichen. »Es war ein Versehen.«
    Hart legte ihm Thorbjörn die Hand auf die Schulter. »Wirklich?«
    »Ich muss den Namen irgendwann früher schon mal gehört haben. Glaub mir, er hat keine Bedeutung für mich.«
    »So soll es bleiben. Weißt du, mehr wäre sicher nicht gut. Nicht alle denken hier so großzügig wie ich. Mit ihrem Glauben nehmen es die Isländer sehr streng. Askel ist ein Einzelgänger, den dulden sie gerade noch, weil er von hier stammt. Aber wenn da ein Fremder auch noch mit einem fremden Gott auftaucht? Gefährlich kann es für ihn werden.«
    »Bisher bin ich mit meinem Freund, dem großen Tyr, gut ausgekommen.« Der Deutsche erhitzte die Nadel wieder. »Wozu ihn verärgern?« Er schrieb neben die Querbalken in schönen Runen: der Magere.
    Keiner hatte sich entschuldigen lassen, alle Geladenen waren zum Warmquellhang gekommen.
    Es regnete und eisiger Wind fuhr vom Schneefelsgletscher herunter. Um Trank und Speise wenigstens den Göttern in würdiger Form darzubringen, vollzog Thorbjörn kurz entschlossen die Opferhandlung draußen auf der Hauswiese. Während er Odin mitsamt der Götterschar zu Tisch bat und ihren Segen für das dreitägige Gelage erflehte, beugte die in Mäntel und Umhänge vermummte Gesellschaft das Knie, alle Männer hatten das Haupt entblößt, die Frauen verbargen ihr Gesicht in den Händen. Nur einer stand den Rücken gekehrt außerhalb des Zauns und streckte die gefalteten, dürren Hände zum Himmel.
    Erik stieß Tyrkir an. »Was treibt der Kerl da?«
    Ein kurzer Blick genügte. »Lass nur! Besser, du kümmerst dich nicht um ihn.«
    Das also muss Askel der Magere sein, dachte Tyrkir. Ich habe einfach vergessen, von ihm zu erzählen. Nein, belüge dich nicht selbst! War es Feigheit? Weil mir seit jenem Morgen einiges wieder eingefallen ist, was mir die Mutter über diesen Jesus erzählt hat? Nein, aus Rücksicht habe ich geschwiegen, rechtfertigte er sich, weil ich meinen Wikinger nicht beunruhigen wollte, deshalb. Ja, so wird es gewesen sein.
    Das Opfer war dargebracht, schnell hatte Thorbjörn Vifilsson gesprochen. Die Gesellschaft erhob sich und wollte endlich ins Trockene. Doch der Gastgeber hielt sie zurück.

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