Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
der Lederschlaufe. Bis auf zwei Pferdelängen hatte sich Toke von hinten dem Roten genähert.
Ich muss ihm den Weg abschneiden, allein dieser Gedanke trieb Tyrkir weiter. Er ließ die Axt und zückte seinen Dolch. Seitlich stürmte er heran, baute sich keuchend in Eriks Rücken auf, als Toke zum Schlag ausholte. Tyrkir gelang noch ein Warnruf für den Freund, dann sah er die Schneide auf sich zufahren, sah nichts mehr, spürte das heiße Brennen in seiner linken Gesichtshälfte und brach zu Boden. Von der Wucht des eigenen Schlages aus dem Gleichgewicht gerissen, stürzte Toke über ihn und starb mit einem tiefen Seufzer.
Sosehr sich Tyrkir bemühte, er vermochte den leblosen Körper nicht von sich abzuwälzen. Blut, seine Mundhöhle füllte sich. Er würgte, drohte zu ersticken, mit unendlicher Kraft drehte er den Kopf nach rechts, bis das Blut aus dem Lippenwinkel ablief und er wieder atmen konnte.
Der Lärm um ihn nahm zu. Meine Leute sind gekommen, dachte er. Heftiger wurde das Schlagen, das Stampfen. Dann hörte er ein markerschütterndes Aufbrüllen, gleich setzte ein zweites ein, Todesschreie, sie rissen ab und jäh herrschte Stille.
Was ist? Wieder versuchte Tyrkir, sich von dem Leichnam zu befreien. Er war zu schwach, bewegte nur hilflos seine Beine.
»Du lebst!«
Die Stimme Eriks. Niemals zuvor hatte Tyrkir ihren Klang so erlösend empfunden. Nein, du lebst, dachte er. Thor sei Dank, mein Wikinger lebt! Also war Walhall nicht auf die Erde herabgestürzt. Farben, rote, gelbe, blaue und grüne streiften ihn, er fühlte sich von ihnen auf den Regenbogen gehoben, so leicht wurde ihm.
»He, Schlaukopf?«
Fast bedauernd öffnete Tyrkir die Lider und blickte ins rußverschmierte Gesicht des Freundes. Er wollte fragen, allein seine Lippen gehorchten nicht, nur Laute drangen aus seiner Kehle.
»Lass das Reden, Kleiner!« Erik grinste, doch in den Augen stand tiefe Sorge. »So, wie du aussiehst, schaffst du kein Wort mehr.«
Was ist mit mir? Fahrig tastete Tyrkir nach seiner linken Wange. Sofort hielt der Freund die Hand fest. »Nicht! Wir müssen dich bald versorgen. Aber du hast Glück. Das Blut wird weniger und die Knochen scheinen noch ganz zu sein. Das ist die Hauptsache. Vom Ohr fehlt was, auch nicht schlimm. Na ja, und irgendwie heilt das Fleisch da auf der Seite bestimmt wieder zusammen.«
Mein Gesicht! Mit dem Begreifen setzte jäh der Schmerz ein. Tyrkir stöhnte.
»Ich weiß, Kleiner.« Unbeholfen strich ihm Erik über die Stirn. »Ich weiß.«
»Herr! Da, da drüben!« Einer der Knechte zeigte zum südlichen Sattel zwischen den Bergkuppen. Vier Reiter, angeführt vom Bauern des Breidahofes, trabten in die Senke herunter.
Erik flüsterte hastig: »Bleib so liegen. Stell dich tot! Ich hol dich nachher.« Der Hüne schnellte auf, hatte seine Axt in der Faust, schon nach wenigen Schritten bückte er sich wieder, riss den toten Odd an der Haarmähne vom Boden hoch und schleifte ihn neben sich her bis in die Mitte des Platzes.
»Thorgest! Deine Söhne sind gefallen!« Er wartete. Die Nachricht ließ den Trupp stocken. »Sie haben mich und meine Männer überfallen. Dafür haben sie ihren Lohn erhalten.«
»Du roter Bastard!« In den Fluch mischte sich der Schmerz des Vaters. »Du bist in meinen Hof eingedrungen. Du Dieb. Brandstifter! Du elender Mörder!«
»Ich war im Recht! Denn du hast mich bestohlen. Nicht ich, du allein trägst die Schuld für diesen Bluttag.«
Thorgest hob drohend den Speer. »Niemand hört auf das Wort eines Geächteten. Ich werde dir das Herz aus der Brust reißen und es meinen Hunden zu fressen geben.«
Mit einem Ruck zerrte Erik den Kopf des Toten höher und setzte die Axtschneide an das Gesicht. »Rühr dich nicht von der Stelle, Bauer! Sonst wirst du Odd und auch deinen Toke in Stücken vom Boden auflesen müssen. Hör meinen Vorschlag! Auch ich habe Männer verloren. Jeder von uns soll seine Toten in Ehren bestatten. Warte, bis ich mit dem Schiff ablege, dann holst du deine Söhne und die anderen!«
Thorgest lachte, hustete und spuckte auf den Boden. »Feiger Bastard, du willst dich ungestraft davonmachen?«
»Sei getrost, Erik der Rote wird nicht ruhen, ehe er dir deine Beleidigungen ins Maul zurückgestoßen hat, dass du an ihnen erstickst.«
Der Herr vom Breidahof schwieg. Nach einer langen Pause rief er: »Also Krieg! Für heute lassen wir die Waffen ruhen. Jeder nimmt seine Gefallenen und rüstet sie für die lange Reise ins Totenreich. Dann aber treffen
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