Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
fühlte sich wie nackt auf einem Fleischbrett, die Strecke war weit, wurde mit jedem Schritt weiter. Wenn jemand drüben vom Hof schon wach war und zufällig in diese Richtung blickte? Ganz gleich, sie mussten zum Schuppen, sonst war der Plan gescheitert. Zwei Schafe sprangen auf, flohen blökend vor den Störenfrieden. Lauter schlug das Herz, der Atem flog.
Endlich. Unentdeckt gelangten sie in den Sichtschatten des Heuschobers und konnten sich freier bewegen. Sie öffneten die Säcke, griffen in die Holzspäne und zogen Eisenstangen und Spaten heraus.
Stumm arbeiteten sie an der Rückwand. Die Torfmauer war nicht dick, die inneren Holzstreben verursachten kaum Lärm, als sie brachen. Schließlich war das Loch groß genug. Zu dritt zogen sie Heu nach draußen, verteilten es, sorgten dafür, dass auch genügend im Durchbruch lag, dann mengten sie die Holzspäne dazu. »Weg hier!«, flüsterte Tyrkir. »Vergesst das Werkzeug nicht.« Geduckt liefen die beiden Knechte los. Noch ein letzter prüfender Blick und er folgte ihnen. Hinter seinem Rücken färbte Morgenrot den östlichen Horizont.
Thjodhild ging langsam und war doch zu schnell für die Freundin. Auf einer Anhöhe neben dem Bachlauf wartete sie. Hallweig stieg schwer atmend zu ihr hinauf. »Ein altes Weib bin ich geworden.«
»Nur wenn du solch dummes Zeug redest. Wir haben Zeit. Ganz gleich, wie unberechenbar der Schneefels auch sein mag, davonlaufen kann er uns nicht.«
Thjodhild zeigte zu den glühenden Bergspitzen im Osten. »Wir sollten hier rasten und auf die Sonne warten. In der Wärme geht es sich leichter.«
Dankbar setzte sich Hallweig auf einen Stein. »Wie fühlst du dich in den Hosen?«
»Hätte nicht gedacht, wie angenehm sie sind. Es zieht nicht von unten kalt herauf.«
»Wenn wir zurück sind, werde ich für uns eigene Hosen nähen«, beschloss Hallweig. Zwei, die besser passten und unauffälliger unter dem Kleid zu tragen waren.
Thjodhild blickte dem sprudelnden Bachlauf nach ins Tal. Schneefelder, dort wo sich schwarze Felsen türmten und die Aprilsonne sie noch nicht erreicht hatte, fahlbraune Weiden waren in der Überzahl und unten in der Ebene lagen die Gutshöfe wie hingestreut bis zum Meer, weiß stiegen die Rauchsäulen aus den Dächern in den durchsichtigen Morgen. »So friedlich ist es.«
»Ja, gut haben wir es heute. Keiner fragt: Wo ist Salz? Soll ich Holz nachlegen, Herrin? Muss ich melken? Einen Tag lang ohne Mägde und Arbeit.« Hallweig umfasste ihre Knie. »Und kein Kindergeschrei. Auch das genieße ich.«
Sie hat Recht, überlegte Thjodhild und war verwundert, dass beim Gedanken an Leif sich doch ein leises Schuldgefühl meldete. »Sie sind noch so klein und brauchen uns.«
»Wir sorgen genug für …« Die Freundin brach ab, lebhaft sah sie auf. »Es wäre doch schön, wenn sich unsere Familien verbinden würden?«
»Du meinst, Leif und Gudrid?«
»Ja. Sie sollten später heiraten.«
Allein die Vorstellung begeisterte Thjodhild. Sie hockte sich eng neben Hallweig auf den Stein und beide schmiedeten an der Zukunft ihrer Kinder. Rechtzeitig müsste genügend Land für das Paar ausgesucht werden. Nein, nicht drüben auf der Insel im Breidafjord, hier auf der Südseite sollten sie leben. Vielleicht könnte vorher schon der Hof errichtet werden.
Mit einem Mal hielt Hallweig inne. »Das einzige Problem wird sein, wie bringen wir es Erik und Thorbjörn bei? Kommt der Vorschlag von uns, dann lehnen sie ab.«
»Keine Angst! Wir sind insgeheim die Oberhäupter der Familie, vergiss das nicht! Ohne dass unsere Männer es merken, werden wir sie nach und nach darauf vorbereiten. Und wenn es so weit ist, dann werden sie sich alleine hinsetzen, die Stirn runzeln, die Haare raufen und uns nachher den gewichtigen Entschluss mitteilen.«
Hallweig lehnte seufzend den Kopf an die Schulter der Freundin. »Seit du hier bist, fühle ich mich frei und stark wie noch nie.«
So blieben sie, dachten an die Heirat ihrer Kinder, bis sich der Sonnenball über die Bergkanten hob und das Tal mit Licht überflutete.
Gegen Mittag entschied Tyrkir loszuschlagen. Das Welkgras war getrocknet, der Wind kam von Westen, hatte sogar noch etwas aufgefrischt und begünstigte das Vorhaben. Im Schutz des Hügels ließ der Verwalter die Bogen spannen und überprüfte sorgfältig jede einzelne Sehne. »Auf den ersten Schuss kommt es an. Der zweite kann uns schon verraten. Viel Zeit habt ihr nicht. Trotzdem, zielt ruhig und schießt erst, wenn ich den
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