Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
starrte eine Weile zu den dunklen Bergkämmen jenseits des Flusstals hinauf, dann kehrte er entschlossen zurück. »Ihr verlangt zu viel von mir. Meine Tochter hat einen eigenen Kopf, wie du weißt. Dass sie noch ein Jahr länger warten soll, musst du Thjodhild selbst sagen. Und zwar jetzt sofort. Warte hier!« Damit ließ er den Deutschen stehen und verschwand im Haus.
O mein armer, stolzer Wikinger, dachte Tyrkir, noch ehe du begonnen hast, deinen Plan in die Tat umzusetzen, geht ein wichtiger Teil schon schief. Und gerade um ihn hatten die Freunde während der letzten Tage auf dem Meer heftig gestritten. »Nein, Schlaukopf. Erst wenn ich Erfolg habe, werde ich Thjodhild damit überraschen. Vorher darf ich sie nicht sehen.«
»Ist es nicht klüger, sie einzuweihen und auf ihren Rat zu hören?«
»Meinen Plan lass ich mir nicht zerreden.«
»Vermisst du sie denn nicht? Nach so langer Zeit. Oder hast du Angst vor ihr, weil …«
»Halt’s Maul!« Jäh riss der Hüne den Schmächtigen an sich und gab ihn gleich wieder frei. »Was geht es dich an?! Schließlich ist Thjodhild meine Frau.«
Sofort lenkte Tyrkir ein. Mit jedem weiteren Wort hätte er die eigene Sehnsucht verraten können. »Ich denke anders darüber, aber vielleicht hast du Recht.«
Um jede Möglichkeit eines Treffens auszuschließen, war Erik nicht zur Südseite des Schneefelsgletschers gesegelt, sondern hatte sein Reittier des Meeres in eine entlegene Bucht am Hvammsfjord gesteuert. Kaum war der Knorr mit Büschen und Strandholz getarnt und das Lager unter überkragenden Felsen aufgeschlagen, hatte er den Freund beiseite genommen: »Vergiss den Streit! Wir gehen heimlich zum Habichtshof. Vom alten Thorbjörn erfahren wir, wie’s steht, und der kann einen Boten rüber zum Warmquellhang schicken.«
Tyrkir fuhr mit der Fingerkuppe vom rechten Mundwinkel die Narbenstraße entlang bis zum Ohrwulst. Diesmal halten die Götter zu mir. Du hast zwar geplant, mein Wikinger, aber das Schicksal bestimmt, was geschieht.
Die Tür wurde aufgestoßen. Thjodhild schob sich am Vater vorbei, hastete einige Schritte auf Tyrkir zu, stockte noch zur rechten Zeit und blieb stehen. »Welch ein Glück«, flüsterte sie. Ihr Blick tastete durch sein Gesicht und einen Moment lang umarmten sich die Augen.
»Verzeih, dass ich deinen Schlaf störe!«
»Wehe dir, wenn du es nicht getan hättest!« Unvermittelt wischte Thjodhild die Rührung beiseite und raffte die Hälften des Schultertuchs vor ihrem Nachtgewand zusammen. »Ich hab Vater schon gefragt, aber der hat nur irgendwas in seinen Bart gemurmelt. Wo ist Erik?«
Wenn ich jetzt lüge, wird sie es mir nie verzeihen. »Weiter oben im Tal. Weil er bis Juli noch friedlos ist, muss er sich verstecken. Er wartet auf unserem alten Hofgelände.«
»Reiten wir!« Keine Gelegenheit für Erklärung oder Einwände blieb, Thjodhild ging bereits zurück ins Haus. Über die Schulter ordnete sie an: »Sattelt die Pferde! Tyrkir soll sie runter zur Straße führen. Ich komme gleich nach.«
Auf dem Weg zum Stall lachte der Gutsherr vergnügt vor sich hin. »Hattest du nicht einen anderen Auftrag? Ich dachte, mein Schwiegersohn will sie nicht sehen?« Darauf erhielt er keine Antwort.
Thorbjörn brachte drei Pferde nach draußen, als sie aufgezäumt waren, lächelte er immer noch. »Ich sagte ja, meine Tochter hat einen eigenen Kopf.«
Zum Abschied sah ihn Tyrkir offen an. »Darin sind wir beide uns einig.« Er wickelte die drei Zügelriemen um seine rechte Faust. »Nur hoffe ich, dass Erik es nicht vergessen hat.«
»Viel Glück!«, rief ihm der Alte leise nach. »Und bestell ihm Grüße. Sag ihm, das Fest im Sommer soll sechs Tage dauern.«
Sie ritten durch das Halbdunkel höher ins Habichtstal hinauf. Sosehr Thjodhild drängte, Tyrkir wollte nichts von der Fahrt berichten. »Wir sind wohlbehalten zurück. Von Erik wirst du mehr erfahren.«
Nach einer Weile versuchte sie es wieder: »Und ich habe geglaubt, dass du etwas für mich empfindest.«
Eine heiße Welle stieg in ihm auf. Trotz des Zwielichts wandte er rasch das Gesicht von ihr ab. Würdest du ahnen, wie viele Träume ich in den drei Jahren mit dir geträumt habe, erschrecken würdest du. Es darf nicht sein, ermahnte er sich, die Wahrheit zerstört jede Hoffnung, jede Aussicht auf Glück. »Du bist die Mutter meines Ziehsohns, die Frau meines Freundes. Wir gehören zusammen.«
»Sehr weise gesprochen«, spottete Thjodhild. »Aus dir wäre ein geschickter Richter
Weitere Kostenlose Bücher