Erinnerung an meine traurigen Huren
nicht nur deshalb, weil das Tier alt sei.
Seit dem Tod meiner Mutter ließ mich die Angst nicht schlafen, jemand könnte mich im Schlaf berühren. Eines Nachts hatte ich etwas gespürt, dann gab mir jedoch ihre Stimme die Ruhe wieder: Figlio mio poveretto. In Delgadi-nas Zimmer hatte ich einmal spätnachts erneut das Gefühl, berührt zu werden, und wand mich genüsslich, weil ich glaubte, die Kleine sei es gewesen. Aber nein: Im Dunkeln stand Rosa Cabarcas vor mir. Zieh dich an und komm mit, sagte sie, ich habe ein ernstes Problem.
So war es, und noch ernster, als ich mir hätte vorstellen können. Einer der wichtigen Kunden des Hauses war im ersten Zimmer des Nebengebäudes erstochen worden. Der Mörder war geflüchtet. Die riesige Leiche, bleich wie ein gekochtes Huhn, lag nackt, aber mit Schuhen auf dem blutgetränkten Bett. Ich erkannte ihn sofort: Es war J.M.B., ein großer Bankier, berühmt für seine stattliche Erscheinung, seine sympathische Art und seine Eleganz - und vor allem für sein tadelloses Familienleben. Am Hals hatte er zwei maulbeerfarbene Wunden, wie Lippen, und im Bauch klaffte ein Spalt, der nicht aufhörte zu bluten. Die Totenstarre war noch nicht eingetreten. Mehr als die Wunden erschütterte mich das Präservativ, das, offensichtlich unbenutzt, auf seinem tödlich geschrumpften Glied saß.
Rosa Cabarcas wusste nicht, mit wem er zusammen gewesen war, denn auch er genoss das Privileg, durch die Gartenpforte zu kommen. Die Möglichkeit, dass er einen Mann zum Gespielen gehabt hatte, war nicht auszuschließen. Die Hausherrin wollte von mir nur, dass ich ihr beim Bekleiden der Leiche half. Sie ging so selbstverständlich damit um, dass mich der Gedanke beunruhigte, der Tod sei für sie ein Küchenproblem. Es gibt nichts Schwierigeres, als einen Toten anzukleiden, sagte ich. Ich habe das schon wer weiß wie oft gemacht, sagte sie. Es ist leicht, wenn einer zum Halten da ist. Ich brachte vor: Wer soll denn das glauben, ein von Messerstichen zerteilter Körper im unversehrten Anzug eines englischen Gentleman?
Ich zitterte für Delgadina. Das Beste wäre, du nimmst sie mit, sagte Rosa Cabarcas. Nur über meine Leiche, sagte ich mit gefrierendem Speichel. Sie sah mir meine Angst an und konnte ihre Geringschätzung nicht verbergen: Du zitterst ja! Um Delgadina, sagte ich, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war. Sag ihr Bescheid, sie soll verschwinden, bevor hier jemand auftaucht. Einverstanden, sagte sie, obwohl du als Journalist nicht gefährdet bist. Du auch nicht, sagte ich mit einem gewissen Groll. Du bist der einzige Liberale, der in dieser Regierung noch etwas zu sagen hat.
Die Stadt, die wegen ihres friedlichen Wesens und der ihr eigenen Sicherheit beliebt war, hatte das Pech, jedes Jahr Schauplatz eines skandalösen und grauenvollen Mordes zu sein. Jener gehörte nicht dazu. Die offizielle Nachricht, in fetten Schlagzeilen und karg an Einzelheiten, teilte mit, der junge Bankier sei auf der Landstraße nach Pradomar aus unerfindlichen Gründen überfallen und erstochen worden. Er hatte keine Feinde gehabt. Das Kommunique der Regierung nannte als mutmaßliche Täter die Flüchtlinge aus dem Landesinneren, die, dem friedfertigen Geist der Einheimischen zuwider, eine Welle gewöhnlicher Kriminalität ausgelöst hätten. In den ersten Stunden wurden über fünfzig Personen festgenommen.
Empört begab ich mich zu dem Gerichtsreporter, einem typischen Journalisten aus den zwanziger Jahren, mit grünem Zelluloidschirm über den Augen und Gummibändern an den Ärmeln, der sich damit brüstete, den Ereignissen immer voraus zu sein. Er kannte jedoch nur Bruchstücke des Verbrechens, und ich ergänzte seine Informationen, soweit es mir vertretbar schien. Wir schrieben dann vier-händig fünf Seiten für einen achtspaltigen Artikel auf der ersten Seite und beriefen uns dabei auf das ewige Phantom der ach so vertrauenswürdigen Quellen. Doch dem staatlichen Zensor - dem Widerwärtigen Mann der neunten Stunde - zitterte nicht die Hand, als er die offizielle Version, es habe sich um einen Überfall liberaler Banditen gehandelt, in Umlauf setzte. Ich entlastete mein Gewissen mit einer kummervollen Miene auf dem zynischsten und bestbesuchten Begräbnis des Jahrhunderts.
Als ich an jenem Abend nach Hause kam, wollte ich herausfinden, was mit Delgadina geschehen war, und ich rief Rosa Cabarcas an, aber die nahm vier Tage lang nicht den Hörer ab. Am fünften ging ich mit zusammengebissenen Zähnen zu
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