Erinnerung an meine traurigen Huren
Rios, sechzehn Jahre, Beruf unbekannt. Diagnose: Gehirnerschütterung. Prognose: ungewiss. Ich fragte den Stationsarzt, ob ich sie sehen könne, hoffte dabei insgeheim auf einen abschlägigen Bescheid, doch ich wurde bereitwillig hingeführt, weil man annahm, dass ich etwas über den desolaten Zustand des Hospitals schreiben wollte.
Wir schritten durch einen stark nach Phenol riechenden Saal, in dem eng gedrängt die Betten der Kranken standen. Hinten, in einem Einzelzimmer, lag die, die wir suchten, auf einer Metalltrage. Sie hatte einen Kopfverband, ihr Gesicht war unkenntlich, geschwollen und blutunterlaufen, doch als ich ihre Füße sah, wusste ich, dass es nicht Delgadina war. Erst jetzt fragte ich mich: Was hätte ich getan, wenn sie es gewesen wäre?
Noch in die Spinnweben der Nacht verstrickt, brachte ich am nächsten Morgen den Mut auf, zu der Hemdenfabrik zu gehen, wo, wie Rosa Cabarcas einmal erwähnt hatte, die Kleine arbeitete. Ich bat den Besitzer, seine Anlagen zu zeigen, es ginge um ein Modell für ein länderübergreifendes Projekt der Vereinten Nationen. Der Mann war ein dickhäutiger, verschlossener Libanese, der, in der Illusion, ein universelles Beispiel bieten zu können, die Türen zu seinem Reich öffnete.
Dreihundert junge Frauen in weißen Blusen, das aschene Kreuz des Mittwochs auf der Stirn, nähten in der großen, ausgeleuchteten Halle Knöpfe an. Als sie uns eintreten sahen, standen sie wie Schülerinnen auf und beobachteten uns verstohlen, während der Geschäftsführer ihren Beitrag zur altehrwürdigen Kunst des Knöpfeannähens erklärte. Ich musterte jedes einzelne Gesicht, voller Angst, Delgadina bekleidet und wach zu entdecken. Doch war es eines der Mädchen, das mich mit dem fürchtenswerten Blick gnadenloser Bewunderung entdeckte:
»Sagen Sie, Señor, Sie sind doch der, der die Liebesbriefe in der Zeitung schreibt?«
Ich hätte nie gedacht, dass ein schlafendes Mädchen derartige Verheerungen verursachen kann. Ohne mich zu verabschieden, floh ich aus der Fabrik und fragte mich nicht einmal mehr, ob eine jener Jungfrauen im Fegefeuer die von mir Gesuchte war. Die einzige Empfindung, die mir geblieben war, als ich herauskam, war das Bedürfnis zu weinen.
Nach einem Monat rief Rosa Cabarcas an und hatte eine unglaubliche Erklärung: Sie habe sich nach dem Mord an dem Bankier einen verdienten Urlaub in Cartagena de Indias gegönnt. Ich glaubte ihr natürlich nicht, gratulierte ihr aber zu ihrem Glück und ließ sie ihre Lüge auswalzen, bevor ich ihr die Frage stellte, die in meinem Herzen rumorte:
»Und sie?«
Rosa Cabarcas schwieg lange. Alles in Ordnung, sagte sie schließlich, klang aber ausweichend. Man muss eine Weile warten. Wie lange? Keine Ahnung, ich sag dir Bescheid. Ich spürte, dass sie sich mir entzog, und beschwor sie: Warte, gib mir irgendeinen Hinweis. Es gibt keinen Hinweis, sagte sie abschließend: Sei vorsichtig, du kannst dir schaden, vor allem aber ihr schaden. Auf solches Getue wollte ich mich nicht einlassen. Ich flehte sie an, es müsse doch eine kleine Chance geben, der Wahrheit näher zu kommen. Schließlich und endlich sind wir doch Komplizen, sagte ich. Sie kam mir keinen Schritt entgegen. Beruhige dich, sagte sie, der Kleinen geht es gut, und sie wartet auf meinen Anruf, aber im Augenblick ist nichts zu machen, und ich sag auch nichts mehr. Lebwohl.
Ich blieb mit dem Hörer in der Hand stehen und wusste nicht weiter, schließlich kannte ich Rosa auch gut genug, um zu wissen, dass ich bei ihr nichts erzwingen konnte. Dem Zufall mehr als der Vernunft vertrauend drückte ich mich am frühen Nachmittag an ihrem Haus vorbei, das aber immer noch verschlossen und mit den Siegeln der Gesundheitsbehörde ver-sehen war. Ich dachte, dass sie mich von anderswo angerufen hatte, vielleicht aus einer anderen Stadt, und allein der Gedanke erfüllte mich mit trüben Vorahnungen. Nichtsdestoweniger gab sie mir um sechs Uhr nachmittags, als ich überhaupt nicht damit rechnete, am Telefon meine eigene Parole durch:
»Gut, es ist so weit.«
Um zehn Uhr nachts, zitternd und mit zerbissenen Lippen, um nicht zu weinen, machte ich mich auf den Weg, beladen mit Schachteln Schweizer Schokolade, türkischem Honig und Bonbons sowie einem Korb voll flammender Rosen, mit denen ich das Bett bedecken wollte. Die Tür stand halb offen, die Lichter brannten, und in gedämpfter Lautstärke strömte Brahms' Sonate Nr. 1 für Geige und Klavier aus dem Radio. Delgadina lag auf dem
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