Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
nicht, aber von außen sieht es alle Welt.
    Es war unmöglich, ihr nicht das Herz zu öffnen, und so erzählte ich ihr die vollständige Geschichte, die in mir brannte, angefangen mit meinem ersten Anruf bei Rosa Cabarcas am Vortag meines neunzigsten Geburtstags bis zu der tragischen Nacht, als ich das Zimmer zertrümmerte und dann nicht mehr zurückkehrte. Sie hörte sich mein Geständnis an, als erlebte sie alles mit, bedachte es gemächlich und lächelte schließlich.
    »Mach, was du willst, aber verlier dieses Geschöpf nicht«, sagte sie zu mir. »Es gibt kein größeres Unglück, als allein zu sterben.«
    Wir stiegen in den Spielzeugzug, der so langsam wie ein Pferd ist, und fuhren nach Puerto Colombia. Am Kai aus morschen Holzbohlen, hier, wo alle Welt an Land gekommen war, bevor die Bocas de Ceniza ausgebaggert wurden, aßen wir zu Mittag. Wir setzten uns unter ein Palmstrohdach, wo große, schwarze Matronen gebackenen Fisch mit Kokosreis und grünen Bananenscheiben servierten. Wir nickten in der drückenden Zwei-Uhr-Hitze ein und plauderten dann weiter, bis der riesige Feuerball im Meer versank. Die Wirklichkeit erschien mir phantastisch. Schau, wohin unser Honigmond uns geführt hat, spottete sie. Fuhr dann aber ernst fort: Heute schaue ich zurück, sehe die Schlange der vielen tausend Männer, die durch mein Bett gegangen sind, und gäbe meine Seele darum, mit einem, und sei es dem schlechtesten, zusammengeblieben zu sein. Gott sei Dank habe ich noch rechtzeitig meinen Chinesen gefunden. Es ist, als wäre man mit dem kleinen Finger verheiratet, aber der gehört mir ganz allein.
    Sie sah mir in die Augen, um abzuschätzen, wie ich auf das reagierte, was sie gerade erzählt
    hatte, und sagte zu mir: Also lauf schon und such dieses arme Geschöpf, selbst wenn deine Eifersucht dir die Wahrheit sagen sollte, sei es, wie es sei, das Erlebte kann dir keiner nehmen. Aber bitte, ohne großväterliche Sentimentalität. Weck sie auf, vögele sie bis zu den Ohren mit diesem erstaunlichen Eselsschwanz, mit dem dich der Teufel für deine Feigheit und Kleinlichkeit ausgezeichnet hat. Im Ernst, schloss sie aus tiefstem Herzen: Stirb ja nicht, bevor du das Wunder erlebt hast, aus Liebe zu vögeln.
    Die Hand zitterte mir, als ich am nächsten Tag die Telefonnummer wählte. Sowohl aus Aufregung über ein Wiedersehen mit Delga-dina als auch aus Unsicherheit darüber, wie Rosa Cabarcas reagieren würde. Wir hatten einen ernsten Streit gehabt über ihre unverschämten Forderungen für die Schäden, die ich in ihrem Zimmer angerichtet hatte. Ich musste ein Bild verkaufen, das meine Mutter besonders geliebt hatte und dessen Wert auf ein Vermögen geschätzt wurde, das aber in der Stunde der Wahrheit nicht einmal ein Zehntel des Erhofften erbrachte. Ich stockte die Summe mit meinen Ersparnissen auf und trug das Ganze zu Rosa Cabarcas, mit einer unabweisbaren Losung: Nimm es, oder lass es. Es war ein selbstmörderischer Akt, denn wenn sie nur eines meiner Geheimnisse verkaufte, wäre mein guter Name ruiniert gewesen. Sie bockte jedoch nicht, gab aber auch nicht die Bilder heraus, die sie in der Nacht der Zerstörung als Pfand einbehalten hatte. Ein einziger Spielzug hatte mich zum absoluten Verlierer gemacht: Ich stand da ohne Delgadina, ohne Rosa Cabarcas und ohne meine letzten Ersparnisse. Nichtsdestoweniger hörte ich jetzt das Telefon klingeln, einmal, zweimal, ein drittes Mal, und endlich sie: Hallo? Mir versagte die Stimme. Ich hängte auf, warf mich in die Hängematte, versuchte mich mit der asketischen Lyrik von Satie zu beruhigen und schwitzte so sehr, dass das Leinen nass wurde. Erst am nächsten Tag fand ich den Mut, wieder anzurufen.
    »Nun gut, meine Liebe«, sagte ich mit fester Stimme: »Heute ist es so weit.«
    Rosa Cabarcas war, natürlich, über alles erha-ben. Ach, mein trauriger Gelehrter, seufzte sie, die sich von nichts unterkriegen ließ, du lässt zwei Monate vergehen und meldest dich nur, um Illusorisches zu fordern. Sie erzählte mir, sie habe Delgadina seit über einem Monat nicht gesehen, damals schien sie sich aber von dem Schrecken über meine Zerstörungswut so gut erholt zu haben, dass sie gar nicht davon sprach, auch nicht nach mir fragte; sie sei sehr glücklich über ihre neue Stelle gewesen, die bequemer sei und besser bezahlt werde als das Knopfannähen. Feuer loderte in meinen Einge-weiden auf. Dann kann sie nur als Hure arbeiten. Rosa erwiderte unerschrocken: Sei nicht blöd, wenn es so

Weitere Kostenlose Bücher