Erinnerung Des Herzens
Regen hinaus. Dreißig Minuten später sah sie, wie Pauls Studebaker vorfuhr. Sein Gesicht war ernst und ausdruckslos, als sie ihm an der Tür begegnete. »Was zum Teufel ist los?«
»Travers hat dich angerufen?«
»Ja, sie hat mich angerufen, was du versäumt hast.«
»Es ist mir nicht eingefallen.«
Er schwieg, bis er den Ärger über ihre Antwort heruntergewürgt hatte. »Offensichtlich. Ist tatsächlich wieder bei dir eingebrochen worden?«
»Schau es dir selber an.« Sie trat zur Seite, so dass er vor ihr hineingehen konnte. Als sie erneut das ganze Ausmaß der Zerstörung vor sich sah, stieg heiße Wut in ihr auf. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, um ihrer Herr zu werden, und presste die Fäuste so fest zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Mein erster Eindruck ist, dass irgendjemand einen Wutanfall bekommen hat, weil er die Bänder nicht finden konnte und sich entschlossen hat, alles auseinanderzunehmen, bis sie auftauchten.« Mit dem Fuß stieß sie eine zerbrochene Vase fort. »Aber sie sind nicht aufgetaucht.«
Auch Paul hatte bei diesem Anblick die Wut gepackt, aber gleichzeitig würgte ihn Angst. Er wirbelte zu ihr herum. Sie wich einen Schritt zurück, als sie seinem Blick begegnete, dann richtete sie sich kerzengerade auf. »Ist das alles, woran du denken kannst?«
»Es ist der einzig mögliche Grund«, sagte sie. »Ich kenne niemanden, der aus persönlichen Gründen so etwas tun könnte.«
Er schüttelte den Kopf und versuchte, einer heftigen Aufwallung Herr zu werden, als sein Blick auf ein zerfetztes Kissen fiel. Wenn er nun sie so vorgefunden hätte - mit zerfetzten Kleidern und verrenkten Gliedern auf dem Fußboden? Als er wieder reden konnte, war seine Stimme eiskalt.
»So, die Bänder sind in Sicherheit, und das wäre es also?«
»Nein, das wäre es nicht.« Sie zog an ihren Fingern, und dann brach ihre ganze Wut, die sie so mühsam zurückgehalten hatte, aus ihr heraus. »Sie sind in Brandons Zimmer gewesen. Sie haben sich an seinen Sachen vergriffen.« Sie schob die Trümmer vor ihren Füßen nicht nur beiseite, sondern versetzte ihnen heftige Fußtritte. Ihre Augen waren so grau wie die Wolken am Himmel. »Niemand, niemand hat das Recht, meinem Jungen so etwas anzutun. Wenn ich den Schuldigen herausfinde, wird er dafür bezahlen.«
Ihm war dieser Ausbruch lieber als die kalte Selbstbeherrschung zuvor. Aber er war noch lange nicht zufrieden. »Du hast mir versprochen, mich zu rufen, wenn du Schwierigkeiten hast.«
»Damit kann ich allein fertig werden.«
»Zum Teufel!« Er ging auf sie zu, packte sie an den Armen und schüttelte sie, bevor sie protestieren konnte. »Wenn tatsächlich irgendjemand so verzweifelt hinter den Bändern her ist, bist du das nächste Opfer. Um Himmels willen, Julia, ist es das wert? Ist ein Buch, das ein paar Wochen auf der Best- seller-Liste stehen wird und einen Fünf-Minuten-Spot bei Carson abgibt, das tatsächlich wert?«
Ebenso aufgebracht wie er, riß sie sich los und rieb sich ihre Arme, die er mit hartem Griff gepackt hatte. Der Wind ließ den Regen gegen die Fenster prasseln. »Gerade du weißt, dass es um mehr geht. Was Eve mir erzählt, was ich über sie schreibe, wird lebendiger, ergreifender, stärker sein als jede ausgedachte Geschichte. Ich kann etwas Großartiges daraus machen.«
»Und wenn du zu Hause gewesen wärst, als der Einbruch erfolgte?«
»Sie wären nicht eingebrochen, wenn ich hiergewesen wäre«, entgegnete sie. »Offensichtlich haben sie gewartet, bis niemand mehr hier war. Sei logisch.«
»Verdammte Logik. Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen.«
»Du bist nicht ...«
»Nein, bei Gott, bin ich nicht.« Heißer Zorn stieg in ihm auf, als er einen Tisch beiseite wuchtete. Das Splittern der bereits angeschlagenen Glasplatte klang wie ein Donner, passend zum Regen. »Erwartest du von mir, dass ich zuschaue und nichts unternehme? Wer auch immer hier war, er hat nicht nur Ausschau gehalten nach den Bändern, er hat voller Verzweiflung alles unternommen, um sie zu finden.« Er nahm ein Kissen, aus dem die Füllung hervorquoll, und warf es ihr zu. »Schau dir das an. Schau es dir an, verdammt noch mal. Das könntest du gewesen sein.«
Dieser Gedanke war ihr bisher noch nicht gekommen, nicht eine Sekunde lang, und sie wehrte sich gegen das schreckliche Bild, das seine Worte in ihr erzeugten. Sie warf das Kissen auf den Boden. »Ich bin kein Einrichtungsgegenstand, Paul. Und es ist nicht deine Sache, für
Weitere Kostenlose Bücher