Erinnerung Des Herzens
zuknallte.
Julia konnte sich nicht daran erinnern, dass ein einziges Interview sie jemals so erschöpft hatte wie die Sitzung mit Anna.
Diese Frau war wie eine LP, die man im 78er Tempo abspielte. Julia hatte die Hoffnung, dass sie bei dem unaufhörlichen Redestrom vielleicht auf einige interessante Einzelheiten stoßen würde, wenn sie die Energie aufbringen konnte, das Band abzuhören.
Sie brachte den Wagen vor dem Haus zum Stehen und blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen und zurückgelehntem Kopf sitzen. Jedenfalls hatte sie nicht die geringste Mühe gehabt, Anna zum Sprechen zu bringen. Die Worte sprudelten aus ihr heraus wie Wasser bei einem Rohrbruch, und die dürre Person hielt es an keinem Platz länger als höchstens ein paar Minuten aus. Julia hatte nichts weiter tun müssen, als ihr die einfache Frage zu stellen, wie es wäre, die Garderobe für Eve Benedict zu entwerfen.
Sofort hatte Anna angefangen, sich über Eves schlechten Geschmack, ihre unrealistischen Vorstellungen, ihre Ungeduld und ihre Einfälle in letzter Minute auszulassen. Laut Anna war sie selber es gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass Eve in Lady Love wie eine Königin ausgesehen hatte. Und Anna war es zu verdanken, dass sie in Paradise Found eine Glanzrolle gespielt hatte. Kein Wort darüber, dass Eve es gewesen war, die Anna ihren eigentlichen Durchbruch verschafft hatte, weil sie darauf bestanden hatte, dass sie die Kostüme für Lady Love entwarf. Julia wusste das bereits aus ihren Interviews mit Kinsky und Marilyn Day.
Keine Spur von Dankbarkeit, genau wie bei Drake, dachte sie.
Es hatte angefangen zu regnen, als Julia seufzte und aus dem Wagen stieg. Es war ein feiner Nieselregen, der tagelang anhalten konnte. Sie lief zur Tür und suchte nach ihren Schlüsseln. Wie unangenehm es ihr auch sein mochte, sie würde das Band noch einmal durchgehen. Wenn Anna im Buch dann als eine boshafte und undankbare Person dargestellt würde, hätte sie das nur sich selber zuzuschreiben.
Sie überlegte, was sie zum Abendbrot machen sollte, als sie die Tür aufschloß. Der Geruch von nassen, zertretenen Blumen schlug ihr entgegen. Das Wohnzimmer bot ein chaotisches Bild. Umgeworfene Tische, zerschlagene Lampen, zerrissene Kissen. Einen Augenblick lang stand sie wie versteinert da, die Aktentasche in der einen, das Schlüsselbund in der anderen Hand, und konnte nicht glauben, was sie vor sich sah. Dann legte sie die Sachen ab und ging von einem Raum in den anderen. Überall dasselbe Bild der Zerstörung - zerbrochenes Glas, umgestürzte Möbelstücke. Bilder waren von der Wand gerissen worden, Schubladen waren aufgebrochen worden. In der Küche war der Inhalt von Dosen und Flaschen auf den Fliesenboden geschüttet worden.
Sie wandte sich ab und lief nach oben. In ihrem Schlafzimmer lagen ihre Kleider verstreut auf dem Boden umher. Die Matratze war halb aus dem Bett gezogen worden, die Laken zerrissen. Obendrauf lag der Inhalt ihres Toilettenschranks.
Aber erst in Brandons Zimmer geriet sie außer sich. Das Zimmer ihres Kindes befand sich in einem furchtbaren Zustand. Man hatte nicht einmal vor seinen Spielsachen haltgemacht, auch seine Bücher und die Kleidung waren durchwühlt worden, beschädigt und zum Teil zerfetzt. Julia nahm das Oberteil seines Batman-Pyjamas und ballte ihre Faust darum. Dann ging sie zum Telefon.
»Hier bei Miss Benedict.«
»Travers, ich muss Eve sprechen.«
Travers antwortete zunächst mit einem unwilligen Schnauben. »Miss Benedict ist im Studio«, sagte sie dann. »Ich erwarte sie gegen sieben.«
»Sie nehmen sofort Kontakt mit ihr auf. Irgendjemand hat im Gästehaus eingebrochen und alles zerstört. Ich gebe ihr eine Stunde Zeit, dann rufe ich die Polizei.« Sie legte den Hörer auf, ohne Travers Keifen zu beachten.
Ihre Hände zitterten. Das war gut so, dachte sie. Es war Zorn, und es machte ihr nichts aus, vor Zorn zu zittern.
Sehr vorsichtig ging sie wieder nach unten und durchquerte den Trümmerhaufen, den man aus ihrem Wohnzimmer gemacht hatte. Sie hockte sich an eine bestimmte Stelle vor der Wandverkleidung und drückte auf den verborgenen Knopf, so wie Eve es ihr gezeigt hatte. Eine Holzplatte glitt beiseite und der eingebaute Safe wurde sichtbar. Julia tippte die Zahlenkombination ein. Als sie den Safe geöffnet hatte, stellte sie fest, dass alles noch da war, ihre Tonbänder, ihre Notizen und der Schmuck. Aufatmend verschloss sie alles wieder und ging dann ans Fenster und schaute in den
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