Erinnerung Des Herzens
»Wenigstens nicht mit mir.«
»Ich will nicht über Delrickio sprechen.« Als sie in die Hotelsuite kamen, zog Paul sofort seine Jacke aus. »Du hast fast den ganzen Abend lang Interviews gemacht. Gib jetzt Ruhe.«
»Du kannst mir Informationen geben, die dein Vater nicht besitzt.« Julia schlüpfte aus ihren Schuhen. »Ich möchte wissen, was du weißt und deine Meinung dazu.«
Er zerrte ungeduldig an seinem Schlipsknoten. »Ich verabscheue ihn. Reicht das nicht?«
»Nein, wie du über ihn denkst, weiß ich bereits. Ich möchte wissen, warum du so über ihn denkst.«
»Sagen wir, dass ich für Verbrecherkönige nichts übrig habe.« Paul streifte seine Schuhe ab. »Ich fühle mich wohl dabei.«
Unzufrieden runzelte Julia die Stirn, als sie die Haarnadeln aus ihrem Haar nahm. »Damit würde ich mich vielleicht zufriedengeben, wenn ich dich nicht mit ihm zusammen gesehen hätte und von daher weiß, dass es sich viel mehr um eine ganz persönliche Abneigung handelt als um eine allgemeine.« Sie legte die Haarnadeln auf den Frisiertisch. Diese Art von Intimität, wie Schuhe abstreifen und Haarnadeln lösen, bereitete ihnen keine Probleme mehr; viel schwieriger war es, zu einem selbstverständlichen inneren Einvernehmen zu gelangen, ohne gegenseitige Verletzung und Ärger.
»Ich habe gedacht, wir hätten beide den Punkt erreicht, an dem wir dem anderen vertrauen.«
»Es geht nicht um Vertrauen.«
»Es geht immer um Vertrauen.«
Er setzte sich hin. Sein Gesicht spiegelte deutlich seine innere Erregung, während ihres ganz ruhig war. »Du hörst doch nicht auf damit.«
»Es ist mein Beruf.« Sie ging zu den Fenstern und zog die Vorhänge zu. »Eve kann mir alles über Michael Delrickio erzählen, was ich wissen muss. Ich hatte gehofft, auch deine Version zu hören.«
»Gut, meine Version ist, dass er der größte Abschaum der Menschheit ist, der in einem italienischen Anzug herumläuft. Einer der schlimmsten Art, weil er es genießt, genauso zu sein, wie er ist.« Seine Augen glitzerten. »Er profitiert vom Elend der Welt, Julia. Und wenn er stiehlt, erpresst, Leute zum Krüppel macht oder umbringt, bucht er das alles unter der Überschrift Geschäft ab. Es bedeutet ihm nicht mehr und nicht weniger als ein Geschäft.«
Sie setzte sich hin, griff aber nicht nach dem Recorder. »Aber Eve hatte eine enge Beziehung zu ihm.«
»Ich glaube, es war so, dass sie nicht genau wusste, wer und was er war, bevor ihre Beziehung sich bereits entwickelt hatte. Offensichtlich fand sie ihn attraktiv. Er kann bestimmt sehr charmant sein. Er ist redegewandt, gebildet. Sie freute sich an seiner Gesellschaft und wohl auch an seiner Macht.«
»Du hast damals mit ihr zusammengelebt?«
»Ich besuchte die Uni in Kalifornien und wohnte bei ihr. Bis heute habe ich nicht gewusst, wo sie Delrickio begegnet ist.« Ein Detail, dachte er, das kaum eine Rolle spielte. Aber er kannte den Rest, oder wenigstens das Wichtigste davon. Und jetzt würde Julia ihn auf Grund ihrer Hartnäckigkeit auch erfahren. »Er kam oft vorbei - zum Schwimmen, Tennisspielen, zum Dinner. Sie ging ein paarmal mit ihm nach Vegas. Aber meistens trafen sie sich bei ihr im Haus. Er schickte dauernd Blumen und Geschenke. Einmal brachte er den Chef eines seiner Restaurants mit und ließ ihn ein aufwendiges italienisches Essen zubereiten.«
»Er besitzt Restaurants?« fragte Julia.
Paul warf ihr einen Blick zu. »Ja, er besitzt welche«, erwiderte er knapp. »Immer waren seine Leute um ihn herum. Er setzte sich nie selber ans Steuer, und er kam nie allein.« Sie nickte. Macht hat immer ihren Preis, dachte sie. »Ich mochte ihn nicht, ich mochte die Art nicht, wie er Eve anschaute, als wäre sie eine seiner verdammten Orchideen.«
»Wie bitte?«
Paul stand auf und ging zum Fenster. Nervös riß er den Vorhang wieder auf. Der Regen hatte aufgehört, aber er spürte die Kälte durch die Glasscheibe. »Er züchtet Orchideen. Er ist besessen davon. Und er war auch besessen von Eve, lungerte herum, bestand darauf zu erfahren, wo sie war und mit wem. Ihr machte das Spaß, hauptsächlich deshalb, weil sie sich weigerte, ihm Rechenschaft abzulegen, was ihn ganz verrückt machte.« Er warf einen Blick zu Julia und sah, dass sie lächelte. »Amüsiert dich das?«
»Es tut mir leid, ich bin nur ... Ja, neidisch, denke ich, weil sie es verstanden hat, die Männer in ihrem Leben so geschickt zu behandeln.«
»Nicht immer so geschickt«, murmelte er und erwiderte ihr Lächeln
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