Erinnerung Des Herzens
glaubte auch nicht, dass sein Alibi der Polizei gegenüber besonders überzeugend war. Er hatte den ganzen Nachmittag verschlafen, nachdem er sich einen dicken Joint geleistet hatte.
Zum Teufel, warum war die Hure so blöd gewesen, sich auf diese Weise aus dem Verkehr ziehen zu lassen? Warum hatte sie nicht wenigstens noch ein paar Wochen gewartet? Dann wäre er längst auf und davon gewesen, und zwar mit prall gefüllten Taschen.
Er saß nackt auf dem Bett, zwischen den Knien hatte er eine Flasche Bier eingeklemmt. Er brauchte ein besseres Alibi. Er trank einen Schluck, strengte sein bisschen Verstand an, dann grinste er. Er hatte die fünf Riesen noch, die Delrik- kio ihm gegeben hatte. Wenn er sich für zwei davon mit Hilfe seines berühmten, unermüdlichen Penis kein Alibi kaufen konnte, war das Leben nicht mehr lebenswert.
Travers wollte nicht getröstet werden. Nina versuchte es, aber die Haushälterin wollte nicht essen, sich nicht hinlegen, kein Beruhigungsmittel nehmen. Sie saß nur auf der Terrasse und schaute in den Garten. Sie wollte nicht einmal ins Haus kommen, was Nina auch zur ihr sagte.
Die Polizei hatte das ganze Haus durchsucht, in die Schubladen geschaut, Eves persönliche Sachen durchwühlt. Sie hatte alles entweiht.
Mit verschwollenen, rotgeränderten Augen beobachtete Nina die Haushälterin. Glaubte diese Frau, dass nur sie allein litt? Glaubte sie, sie wäre die einzige, die krank, verletzt und verunsichert war?
Nina ging ins Haus. Himmel, sie musste mit irgend jemandem reden, sich an irgend jemanden anlehnen. Sie hätte Dutzende von Leuten anrufen können, aber jeder, der ihr nahestand, würde sofort nach Eve fragen. Schließlich hatte Nina Solomans Leben an dem Tag angefangen, an dem Eve Benedict sie aufgenommen hatte.
Nun war Eve tot, und sie hatte niemanden mehr. Nichts. Wie konnte es möglich sein, dass eine einzige Person solch eine Bedeutung für eine andere hatte? Es war nicht richtig, nicht fair.
Sie ging zur Bar hinüber und holte sich einen starken Bour- bon. Bei seinem Geschmack zog sie eine Grimasse. Seit Jahren hatte sie nichts Stärkeres mehr als Weißwein getrunken.
Aber der Geschmack beschwor keine dunklen Erinnerungen. Der Drink beruhigte und stärkte sie. Wieder trank sie einen Schluck. Sie brauchte sehr viel Kraft, um die nächsten Wochen durchzustehen. Oder sogar den Rest ihres Lebens.
Die kommende Nacht. Sie wollte sich nur darauf konzentrieren, diese eine Nacht zu überstehen.
Wie konnte sie hier Schlaf finden, in diesem großen Haus, in dem Bewußtsein, dass Eves Schlafzimmer leer war?
Sie hätte in ein Hotel gehen können, aber sie wusste, dass das nicht richtig wäre. Sie würde hierbleiben, sie würde diese erste Nacht durchhalten.
Dann erst würde sie an die nächste denken. Und an die folgende.
Es war bereits nach Mitternacht, als die Wirkung des Schlafmittels, das Julia genommen hatte, nachließ. Als sie erwachte, war sie keine Sekunde lang desorientiert, sie versuchte auch nicht, sich einzureden, alles wäre nur ein böser Traum gewesen.
Sobald sie wieder zu Bewußtsein kam, wusste sie, wo sie war, und auch, was passiert war.
Sie lag in Pauls Bett. Und Eve war tot.
Stöhnend drehte sie sich um. Sie wollte ihn spüren, sich an seinen warmen, lebendigen Körper pressen. Aber der Platz neben ihr war leer.
Sie setzte sich auf, stieg aus dem Bett, obwohl ihr Körper zu leicht zu sein schien und ihr Kopf zu benommen.
Sie erinnerte sich daran, dass sie Brandon auf ihren ausdrücklichen Wunsch abgeholt hatten. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn er von Eves Tod in den Nachrichten gehört hätte. Aber sie war auch noch nicht fähig gewesen, ihm alles zu erzählen. Sie hatte nur gesagt, es hätte einen Unfall gegeben - eine traurige Beschönigung für Mord - und dass Eve getötet worden war.
Er hatte ein bisschen geweint um eine Frau, die immer freundlich zu ihm gewesen war. Julia fragte sich, wann und wie sie ihm würde erklären können, dass diese Frau seine Großmutter war.
Aber das kam später. Brandon schlief und war in Sicherheit. Vielleicht war er ein wenig traurig, mehr nicht. Anders stand die Sache mit Paul.
Sie fand ihn auf dem Dach. Er schaute aufs Meer hinaus. Schwarze Wellen schlugen an den schwarzen Strand. Einen Augenblick glaubte sie, das Herz müßte ihr brechen.
Sie sah nur seine Silhouette im Mondlicht. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben, die er übergezogen haben musste, als er sie allein im
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