Erinnerung Des Herzens

insgesamt achtzehn Minuten Spielzeit eingeräumt, und ich habe das Beste daraus gemacht. Ich sollte Sex verkaufen, und den haben sie bekommen, eimerweise.« Eve zuckte mit den Schultern. »Der Film hat den Erdball nicht in Brand gesetzt, aber er wird heute noch im Kabelfernsehen gezeigt. Immerhin habe ich damit genügend Eindruck geschunden, um sofort eine andere Nebenrolle zu bekommen. Ich war plötzlich Hollywoods neuestes Sexsymbol und habe ihnen viel Geld eingebracht, weil ich unter Kontrakt stand. Aber ich bereue es nicht, selbst heute nicht. Auch mir hat dieser erste Film einiges eingebracht.«
    »Zum Beispiel einen Ehemann.«
    »Ach ja, mein erster Irrtum.« Ein dünnes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Weiß der Himmel, Michael sah großartig aus, aber er hatte den Verstand eines Huhns. Solange wir im Bett lagen, war alles in Ordnung. Aber ein Gespräch mit ihm führen? Unmöglich.« Sie fing an, auf dem Rosenholz herum- zutrommeln. »Charlie war ihm als Schauspieler weit überlegen, aber Michael hatte das richtige Gesicht, die Ausstrahlung. Ich ärgere mich heute noch, wenn ich daran denke, dass ich dumm genug war zu glauben, dass der Bursche irgendeine Ähnlichkeit mit den Männern hatte, die er im Film darstellte.«
    »Und Charlie Gray?« Julia beobachtete Eve genau. »Er hat doch Selbstmord begangen«
    »Seine Finanzen waren eine Katastrophe, und seine Karriere war an einem toten Punkt angelangt. Natürlich war es trotzdem für viele schwer zu begreifen, dass es ein reiner Zufall war, dass er sich an dem Tag erschoß, an dem ich Michael Torrent heiratete.« Ihre Stimme klang gelassen, und sie schaute Julia ruhig an. »Ob es mir leid tut? Ja. So einen wie Charlie gibt es nur sehr selten, und ich liebte ihn. Nicht so, wie er mich liebte, aber ich liebte ihn. Ob ich mir Vorwürfe mache? Nein. Wir haben beide unsere Wahl getroffen, Charlie und ich. Die Überlebenden müssen mit dem leben, was sie gewählt haben.« Sie neigte den Kopf. »Ist es nicht so, Julia?«

4

    Ja, es stimmt, dachte Julia später. Wer überlebt, muss mit dem leben, was er gewählt hat. Aber er muss auch bezahlen. Sie fragte sich, womit Eve bezahlt haben mochte.
    Julia saß unter einem Sonnenschirm an einem Glastisch auf der Terrasse des Gästehauses. Von hier aus konnte man nur den Eindruck gewinnen, als ob Eve einzig und allein auf der Gewinnerseite lebte. Während sie ihre Notizen durchging, war sie von schattenspendenden Bäumen und dem Duft von Jasmin umgeben. Leises Summen erfüllte die Luft - von einem ziemlich weit entfernt arbeitenden Rasenmäher, von Bienen, die Nektar suchten, und von dem schwirrenden Flügelschlag eines Kolibris in einem nahegelegenen Hibiskusstrauch.
    Alles hier sprach von Luxus und Privilegien. Aber die Leute, die all dies mit Eve teilten, wurden dafür bezahlt, dachte Julia. Sie war eine Frau, die einen Gipfel nach dem anderen erreicht hatte, aber im Grunde einsam geblieben war. Ein hoher Preis für ihren Erfolg.
    Doch Julia hielt Eve nicht für eine Frau, die darunter litt. Sie überdeckte mit ihren Erfolgen ihre persönlichen Rückschläge. Julia hatte eine Liste von Leuten aufgestellt, die sie interviewen wollte: ehemalige Ehemänner, Liebhaber, frühere Angestellte. Schulterzuckend hatte Eve das gebilligt. Nachdenklich kreiste Julia den Namen Charlie Gray zweimal ein. Sie wollte mit Leuten reden, die ihn gekannt hatten, Leute, die seine Beziehung zu Eve von einem anderen Blickwinkel aus gesehen hatten.
    Sie trank ein wenig eisgekühlten Fruchtsaft, dann fing sie an zu schreiben.
    Natürlich ist sie keine einheitliche Persönlichkeit. Sie kann großzügig sein, aber auch selbstsüchtig, freundlich, aber auch schroff, kühl, gefühllos. Gerade diese Schwächen sind es, die die Frau in ihrem privaten und öffentlichen Leben ebenso faszinierend, vital und menschlich erscheinen lassen wie die Frauen, die sie gespielt hat. Ihre Kraft ist überwältigend. Man spürt sie in ihrem Blick, ihrer Stimme, in jeder Geste ihres disziplinierten Körpers. Das Leben scheint für sie eine einzige Herausforderung zu sein, eine Rolle, die sie mit viel Schwung spielt, ohne Anweisungen von der Regie zu bekommen. Jeden Fehler, jede geschmissene Szene hat sie selbst zu verantworten. Sie macht niemandem einen Vorwurf. Sie ist nicht nur bewundernswert wegen ihres Talentes, ihrer Schönheit, ihrer rauchigen Stimme und ihrer wachen Intelligenz, sondern auch wegen ihres tief eingewurzelten Selbstwertgefühls.
    »Sie verschwenden