Erinnerung Des Herzens
würde es herausfinden.
Sie runzelte die Stirn, als er aufstand, um den Zigarrenstummel am Rand der Terrasse in den Sand zu stupsen. Sein schlanker Körper schien nur aus Muskeln zu bestehen. Der Körper eines Fechters, dachte sie.
»Wir müssen auf irgendeine Weise einen Waffenstillstand schließen. Um Eves willen.«
»Das sehe ich nicht ein. Da wir beide unsere Arbeit haben, werden wir uns kaum oft genug über den Weg laufen, um weiße Fahnen aufziehen zu müssen.«
»Das ist ein Irrtum.« Er kam zum Tisch zurück, setzte sich aber nicht hin. Statt dessen blieb er neben ihr stehen, beide Daumen in die Taschen gesteckt. »Ich muss Sie im Auge behalten, wegen Eve. Und vielleicht auch meinetwegen.«
Ihr Füller fiel auf die Glasplatte des Tisches. Sie ließ ihn liegen und verschlang die Finger ineinander. »Wenn das heißen soll ...«
»Sie gefallen mir besser so.« Er unterbrach sie einfach. »Barfuß und außer Fassung. Die Frau, der ich gestern abend begegnet bin, war faszinierend und einschüchternd.«
Sie spürte eine innere Unruhe, gegen die sie sich schon lange immun geglaubt hatte. Sie machte sich klar, dass es durchaus möglich war, dass man sich körperlich zu einem Mann hingezogen fühlte, den man nicht mochte. Aber es war genauso möglich, diesem Drang zu widerstehen. »Ich bin dieselbe, mit oder ohne Schuhe.«
»Ganz und gar nicht.« Er setzte sich wieder hin, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, legte das Kinn auf seine gefalteten Hände und studierte sie. »Glauben Sie nicht auch, dass es entsetzlich langweilig wäre, wenn man jeden Morgen als genau dieselbe Person aufwachte?«
Das war genau die Art von Fragen, die sie liebte und gern gründlich beantwortet hätte. Aber bei ihm wusste sie nie, wohin ihre Erklärungen sie führen würden. Sie nahm ihren Notizblock zur Hand und schlug eine leere Seite auf.
»Da Sie nun einmal hier sind und Lust haben, mit mir zu reden, könnten Sie mir vielleicht gleich das Interview geben.«
»Nein. Damit müssen wir noch warten, schauen, wie alles läuft.« Er wusste, dass er stur war, und es machte ihm ausgesprochen Spaß.
»Was alles?«
Er lächelte. »Alles mögliche, Julia.«
Eine Tür wurde zugeschlagen, und eine Jungenstimme war zu hören. »Mein Sohn.« Julia raffte schnell ihre Notizen zusammen und stand auf. »Wenn Sie mich entschuldigen möchten. Ich muss ...«
Aber Brandon kam bereits auf die Terrasse gestürmt. Er trug eine Kappe in leuchtendem Orange, ausgebeulte Jeans und ein T-Shirt mit einer Mickymaus. Er grinste über das ganze schmuddelige Gesicht.
»Ich habe in der Schule zwei Bälle in den Korb geschossen«, verkündete er.
»Mein kleiner Held.«
Sie streckte die Hände nach ihm aus, und wieder konnte Paul beobachten, wie sie sich veränderte. Das war weder die kühle, elegante noch die verletzliche Frau, sondern eine zärtliche Mutter. Man erkannte es an ihrem Blick und an ihrem Lächeln, als sie den Arm um die Schultern ihres Sohnes legte. Sie zog ihn an ihre Seite. In der Körpersprache hieß das eindeutig: Er gehört mir.
»Brandon, das ist Mr. Winthrop.«
»Hallo.« Wieder grinste Brandon und zeigte dabei seine Zahnlücken.
»Als was hast du gespielt?«
Bei dieser Frage leuchteten Brandons Augen auf. »Als Linienwächter. Ich bin nicht sehr groß, aber ich bin schnell.«
»Ich habe einen Springreifen zu Hause. Du solltest mal rüberkommen und mir zeigen, wie du damit klarkommst.«
»Ja?« Brandon tanzte fast vor Begeisterung, während er seine Mutter fragend anschaute. »Darf ich?«
»Wir werden sehen.« Sie nahm ihm die Kappe ab. »Hausaufgaben?«
»Nur ein paar Vokabeln und eine dämliche lange Divisionsaufgabe.« Beides wollte er am liebsten bis zur allerletzten Minute vor sich herschieben. »Kann ich einen Drink haben?«
»Ich hol dir einen.«
»Das ist für dich.« Brandon zog einen Briefumschlag aus seiner Tasche. Dann wendete er sich wieder Paul zu. »Schauen Sie sich manchmal die Spiele an?«
»Hier und da.«
Julia überließ sie ihrer Fachsimpelei. Sie füllte ein Glas mit Eis, wie Brandon es mochte, und goß Saft darauf. Obwohl es sie ärgerte, füllte sie auch Paul ein Glas und stellte auch noch einen Teller mit Keksen auf das Tablett. Es wäre wohl kaum ein gutes Beispiel für ihren Sohn, wenn sie so unhöflich gewesen wäre, Paul einfach zu übergehen.
Ihr Blick fiel auf den Briefumschlag, den sie auf das Küchenbüfett gelegt hatte. Ihr Name stand in großen Druckbuchstaben darauf. Stirnrunzelnd
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