Erinnerung Des Herzens
auf das Grundstück gekommen waren, jeder von ihnen hätte den Umschlag mitbringen können. Und auch die Leute, die hier arbeiteten und wohnten, kamen in Frage. Sie wusste viel zu wenig über sie.
Als sie durch das Küchenfenster spähte, konnte sie das Licht in dem Apartment über der Garage sehen. Lyle, der Chauffeur mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften, er schien sich für den Zuchthengst im Westen zu halten. Ob er und Eve ...? Nein. Mit einem Mann wie Lyle würde Eve sich nicht einlassen.
Travers. Die Haushälterin mit dem ewig verkniffenen Mund zeigte ihre Mißbilligung nur allzu deutlich. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie Julia beim ersten Blick abgelehnt hatte. Es lag wohl weniger am Duft ihres Parfüms, als vielmehr an ihrer Arbeit, dachte Julia. Vielleicht hatte Travers geglaubt, eine geheimnisvolle, anonyme Zuschrift würde Julia veranlassen, Hals über Kopf nach Connecticut zurückzukehren. In diesem Fall würde sie eine herbe Enttäuschung erleben.
Dann Nina. Tüchtig und elegant. Konnte eine solche Frau damit zufrieden sein, ihr Leben einer anderen zu widmen? Julia hatte nur wenige Hintergrundinformationen über Nina sammeln können. Etwa fünfzig Jahre alt, unverheiratet, kinderlos, eine Veteranin unter denen, die zu Eves Welt gehörten. Beim Dinner hatte sie es unauffällig fertiggebracht, Frieden zu stiften. Fürchtete sie, dass Eves Biographie diesen Frieden unwiderruflich vernichten könnte?
Als Julia noch darüber nachdachte, sah sie Nina mit einem großen Karton in den Armen schnell auf das Haus zukommen.
Julia öffnete rasch die Küchentür. »Eine Spezialsendung?« Lachend dirigierte Nina den Karton durch die Tür. »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass ich hier der Packesel bin.« Sie keuchte ein wenig, als sie den Karton auf den Küchentisch stellte. »Eve hat mich gebeten, Ihnen dieses Zeug herzubringen. Photos, Zeitungsausschnitte, Kinozettel. Sie meint, Sie könnten es vielleicht für Ihre Arbeit gebrauchen.«
Neugierig hob Julia den Deckel. »Oh ja!« Begeistert nahm sie einen alten Schnappschuß von Eve hoch: eine sinnliche Schönheit an der Seite eines bemerkenswert gutaussehenden Michael Torrent. Sie begann, in dem Karton herumzuwühlen.
Nina schaffte es, nur leicht zusammenzuzucken, als Julia die von ihr so sorgfältig geordneten Papiere durcheinanderbrachte.
»Das ist wunderbar.« Julia nahm einen einfachen Schnappschuß in die Hand, der schon etwas verblaßt war und an den Ecken Eselsohren aufwies. »Himmel, das ist ja Gable.«
»Ja. Das wurde hier aufgenommen, bei einer von Eves Partys. Es war vor dem Anfang der Dreharbeiten zu The Misfits, kurz vor seinem Tod.«
»Sagen Sie ihr, das wird mir nicht nur bei der Arbeit helfen, sondern auch unheimlich viel Spaß machen. Ich komme mir vor wie ein Kind in einer Schokoladenfabrik.«
»Dann will ich Sie besser allein lassen.«
»Warten Sie.« Julia zwang sich dazu, sich von der Schatztruhe zu trennen, bevor Nina die Tür öffnete. »Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
Nina blickte auf ihre Uhr. »Natürlich. Möchten Sie einige der Bilder mit mir zusammen durchsehen?«
»Nein, ich möchte ein Inverview von Ihnen. Ich werde es kurz machen«, fügte sie schnell hinzu, als sie sah, dass Nina ausweichen wollte. »Ich weiß, wie beschäftigt Sie sind und will Sie nicht unnötig von der Arbeit abhalten.« Julia gratulierte sich selber zu Ihrem Einfall und lächelte. »Ich hole nur schnell mein Tonbandgerät. Bitte, gießen Sie sich ein Glas Wein ein.« Eilig ging sie hinaus, ohne Nina die Zeit zu lassen, zuzustimmen oder abzulehnen.
Als sie zurückkam, hatte sich Nina Wein eingegossen, Julias Glas neu gefüllt und sich hingesetzt. Sie lächelte, eine hübsche Frau, die daran gewöhnt war, ihre Zeit für andere Leute zu opfern. »Eve hat mich gebeten, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber um die Wahrheit zu sagen, ich kann mir nicht denken, dass ich irgend etwas Interessantes beizutragen hätte, Julia.«
»Das lassen Sie nur meine Sorge sein.« Julia öffnete ihr Notizheft und stellte den Recorder an. Sie spürte das Widerstreben der anderen und wusste, dass sie behutsam vorgehen musste. »Nina, Sie müssen sich darüber im klaren sein, wie faszinierend Außenstehende alle Details über Eves ganz normalen Tagesablauf finden. Was sie zum Frühstück ißt, welche Musik sie liebt, ob sie abends vor dem Fernseher sitzt und irgend etwas dazu knabbert. Aber vieles davon kann ich selber herausfinden. Deshalb will ich Sie
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