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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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dass er mich irgendwie loben, mir vielleicht über den Kopf streichen würde, aber er brummte nur, wie üblich. Kurz danach weigerte Thomas sich zu gehen, als wir fertig waren, ich wurde ihn erst am Morgen los, und als ich aus dem Fenster schaute, sah ich ihn und Professor Mather buchstäblich zusammen aus dem Haus treten. Als Thomas am nächsten Tag kam, schrie ich ihn an und sagte, es sei Schluss mit uns. Wenn er mich haben wolle, müsse er mich heiraten. Seine Nutte könne ich nicht länger sein. Er musterte mich kalt, zum ersten Mal sah ich diesen Ausdruck an ihm, und fragte: Wie kann ich dich heiraten,wenn du jeden Tag zu deinem Psychiater gehen musst? Ich sagte, er solle verschwinden. Das tat er nicht. Stattdessen fiel er über mich her und vergewaltigte mich beinahe. Hätte ich ihm nicht seinen Willen gelassen, hätte er mich erwürgt. Als es vorbei war, sagte er, aufgeben könne er mich nicht, aber bevor wir über das Heiraten redeten, wolle er Dr. Reiner sprechen.
    Ich werde ihm nie verzeihen, diesem Mistkerl, sagte sie nach einer kurzen Pause.
    Ich dachte, das beziehe sich auf Thomas, aber einen Augenblick später machte sie klar, wen sie meinte.
    Kannst du dir das vorstellen, fragte sie, er gab Thomas sein Wort, dass ich gesund sei – diese Vokabel hat er benutzt –, dass eine Ehe gut für mich wäre und dass es keinen Grund für mich gebe, auf Kinder zu verzichten? Am Tag danach fragte ich ihn, wie er so etwas sagen könne, nachdem er mir erklärt habe, dass ich während meiner Analyse keine Langzeitbindungen eingehen solle. Er sah mich an, hob die Brauen und sagte, Meinungen änderten sich mit den Umständen. Das Gespräch mit Thomas habe ihn überzeugt, dass dies meine große Chance auf das Glück sei!

VII
    Nach dem Dinner brachte ich Lucy nach Hause. Da ich merkte, dass sie sich enger an meinen Arm lehnte, als ihre zweifellos vorhandene Müdigkeit rechtfertigte, lehnte ich die Einladung auf einen Abschiedstrunk in ihrer Wohnung ab. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, entgegnete sie und küsste mich auf den Mund. Ich bin zwar einsam, aber kaum gefährlich. Komm bald mal wieder. Tatsächlich machte mir jedoch die Direktheit ihrer Erzählung zu schaffen: Ich spürte, dass ich weiter in ihren Bannkreis gezogen wurde, als vernünftig schien, und instinktiv schob ich ihr die Schuld daran zu. Ich wusste, dass das unfair war. Sie war jahrelang in Analyse gewesen – als sie mit Thomas nach New York umgezogen war, habe sie sich weiterhin von einem Psychoanalytiker behandeln lassen, sagte sie mir – und hatte gelernt, ausdrücklich über Gefühle und Handlungen zu sprechen, über die man einst und vielleicht heute noch zu schweigen hatte, und ich vermutete, dass sie auch jetzt die eine oder andere Therapie machte. Dazu kam noch etwas: Wenn ich gewisse Gewohnheiten außer Acht ließ, die sie sich womöglich in all den Jahren auf der Couch zugelegt hatte, und das Problem nur mit dem Blick des Romanciers betrachtete, musste ich mich fragen: Wie könnte sie ihre Geschichte anders erzählen? Eine überzeugende Antwort fand ich nicht. Richtig war auch, dass meine ursprüngliche Neugier, die sich zunächst nur geregt hatte, weil Lucy an dem Ballettabend mit so unbegründeterSchärfe über Thomas redete, mittlerweile fast zu einer Obsession geworden war. Kluge Zurückhaltung hin oder her: Ich war entschlossen, zu verstehen, warum diese verdrehte, aber schöne, charmante und verführerische junge Frau, die mir im Gedächtnis geblieben war, sich so verändert hatte, so verbittert, aggressiv und zänkisch geworden war. Diese Frage stand jetzt jeden Morgen vor mir. Klar war, dass Alter und Einsamkeit mitgewirkt hatten, aber etwas anderes musste dazugekommen sein, ein Gift, das sie und Thomas ausgeschieden hatten. War es möglich, dass der arglose junge Mann, den sie mir vor gut einem halben Jahrhundert vorgestellt hatte, der mir später bekannt war als ein prominenter, höchst erfolgreicher Bankier mit dem Verdienst, einen wichtigen Beitrag zur Lösung der lateinamerikanischen Schuldenkrise geleistet zu haben, und der als ein sozusagen öffentlicher Intellektueller galt – eine Bezeichnung, die mir missfällt –, dass dieser Mann im Privatleben ein Monster gewesen war? Oder jedenfalls mehr von einem Monster an sich hatte, als ich und so gut wie alle anderen, die ihn kannten, uns vorstellen konnten? So geschah es, dass ich Lucy in den Wochen vor ihrem Sommeraufenthalt in Little Compton und meinem in Sharon

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