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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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häufiger sah, zum Tee in ihrem Apartment – ich hatte mir geschworen, dort nicht mehr mit ihr zu essen – und beim Dinner in Janes Bistro an der Lexington Avenue, das mein Esszimmer an der East Side geworden war.
    Ich war beeindruckt von ihrer Fähigkeit, in chronologischer Reihenfolge zu erzählen, damit erleichterte sie mir die Rekonstruktion, wenn ich später über die Ereignisse nachdachte. Die Geschichte nahm unerbittlich ihren Verlauf.
    Am Abend des Tages, an dem Dr. Reiner Thomas seinen Segen gegeben hatte, kam er mit einem Strauß roter Rosen in Lucys Wohnung und machte ihr einen Heiratsantrag. Auf Knien. Nach ihrer Einschätzung graute ihm so vor dieser Ehe, dass er die Angelegenheit schleunigst hinter sich bringen musste, um nicht mehr zurückzukönnen. Wie sollte sie reagieren? Sie hatte ihn auf dieses Gleis gesetzt; sie wusste, dass sie ihrem Leben eine Form geben musste. Natürlich sagte sie ja. Daraufhin rief er seine Eltern an, noch von ihrer Wohnung aus. Sie hatte angenommen, die Eltern würden selig sein, wenn sie hörten, dass eine De Bourgh ihrem Sohn das Jawort gegeben hatte, aber da wartete eine Überraschung auf sie. Sie sagten – Thomas hatte den Fehler gemacht, ihnen nicht klarzumachen, dass Lucy neben ihm stand, und die Mutter wie der Vater sprachen so laut, dass sie jedes Wort hörte –, er sei zu jung, er dürfe erst heiraten, wenn er einen Job habe und unabhängig sei, er werde diese Entscheidung sein Leben lang bereuen. In darauffolgenden Unterhaltungen, von denen Thomas ihr aus unerfindlichen Gründen jedes Mal berichtete, fielen die Eltern über sie her und behaupteten zu spüren, dass sie ungeeignet zu Ehe und Mutterschaft sei. Zuerst konnte sie sich das nicht erklären. Welche Gerüchte hatten sie gehört, warum redeten in Newport Klempner, Elektriker und Poolbetreuer, Leute, mit denen Snow père et mère Umgang pflegten, über sie? Abgesehen von einer Strandparty, an der sie mit Alex teilgenommen hatte und die aus dem Ruder gelaufen war und von der Polizei abgebrochen wurde, hatte sie dort nie etwas Auffälliges angestellt. Eines Tages dann begriff sie: Thomas hatte ihnen erzählt, dass sie fünfmal in der Woche zu einemPsychiater ging und eine Analyse machte. Das war für Mr. und Mrs. Snow mehr als genug. Sie waren im Bilde. Lucy war verdorbene Ware. Von einer Seite her gesehen musste sie anerkennen, dass der Mann mit der Werkstatt und die Buchhalterin sich nicht durch Visionen vom Geld und der gesellschaftlichen Stellung der De Bourghs davon abhalten ließen, ihrem lieben Sohn zu wünschen, er möge eine Frau finden, die genauso vollkommen war wie er. Sie meinten, eine ungleiche Ehe würde ihn verletzen. Von der anderen Seite her gesehen machten sie einen großen Fehler. All das Gerede führte nur dazu, dass Thomas erst recht an seiner Entscheidung festhielt. Falls je auch nur die kleinste Chance bestanden hatte, dass er die Verlobung rückgängig machen würde, war sie jetzt dahin. Dazu hatten die beiden ihr auch noch alle achtbaren Gründe geliefert, die sie brauchte, wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Thomas würde es verstehen, wenn sie ebenfalls stur blieb und seine Eltern weder ins Haus noch in die Nähe ihrer und Thomas’ Kinder lassen wollte. Oder, falls sie nachgab, würde sie ihm und ihnen einen großen Gefallen tun und hätte jedes Recht, die Nase zu rümpfen.
    Lucys eigene Eltern hatten nicht versucht, sie zu sehen oder mit ihr zu sprechen, seit sie aus Genf zurück war. Schon gar nicht hatten sie die Tochter eingeladen, nach Hause zu kommen. Sie hatte mit niemandem aus ihrer Familie Kontakt, außer mit ihrem Bruder John, mit dem sie alle paar Wochen telefonierte, und mit der Sekretärin ihres Vaters, wenn es um Geld ging, aber das war kaum nötig, da ihr Unterhalt aus dem Fonds bezahlt wurde und sie mit dem Treuhandverwalter selbst verhandeln konnte. Thomas wollte im Januar heiraten,gleich nach seinen letzten Semesterprüfungen, damit sie der Kälte in Cambridge entfliehen und eine Woche in Puerto Rico verbringen konnten. Damit habe er ihr wohl die Gelegenheit verschaffen wollen, ihn zu Flitterwochen einzuladen, sagte sie. Er hätte sich die Flüge nicht leisten können, und das Hotel schon gar nicht. Am Ende war er einverstanden, die Hochzeit auf einen Termin Anfang Juni nach seinem Abschlussexamen zu verschieben. Die Entscheidung war leicht. Er hatte keinen Pfennig, und nach dem, was geschehen war, konnte er sich auch nichts von seinen Eltern

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