Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
sah es anders aus. Ich dachte, sie würde ihn zivilisieren – ihn bessere Manieren lehren, ihm zeigen, wie man sich kleidet, ihn mit Leuten besserer Sorte bekannt machen – und ihm tollen Sex bescheren. Ich hatte den Verdacht, dass seine Erfahrung auf diesem Gebiet jammervoll begrenzt war. Ich muss sagen, sie hat genau das getan, was ich mir vorgestellt hatte, auch den Sex hat sie geliefert. Warum hätte er sich sonst so in sie vernarrt? Natürlich ist mirnie eingefallen, dass die Affäre womöglich irgendwelche Langzeitfolgen haben würde. Eine Heirat hätte ich damals für undenkbar gehalten. Aber wie Henry Kissinger uns weismachen wollte, ist das Undenkbare immer möglich. Ich sage dir, was meiner Meinung nach wirklich schiefgegangen ist, warum die Ehe nicht funktioniert hat, vielleicht nicht funktionieren konnte. Es lag nicht daran, dass sie etwas älter war als er oder dass sie ihm zu üppige oder zu pikante Erfahrungen voraushatte, von denen er nichts wusste und die er wahrscheinlich nicht verstanden oder hingenommen hätte, auch nicht daran, dass die beiden so himmelweit verschiedener Herkunft waren. All das hätte sich ausgleichen, verkraften lassen. Nein, dahinter steckte etwas anderes, womit ich nicht gerechnet hatte – und ich verstehe nicht, wie es ihr entgehen konnte, und falls es ihr klar war, warum sie ihn trotzdem heiraten wollte: Sie konnte ihn im Grunde nicht leiden. Das ist ein unlösbares Problem. Ohne schlichte Zuneigung, nicht Sex, sondern Neigung, kann eine Ehe nicht funktionieren. Nimm Priscillas und meine Ehe. Wir hatten Differenzen, ich war kein Musterehemann, aber wir haben einander ehrlich gern. Wir machen dieselben Sachen, um zusammen zu sein. Nichts Außergewöhnliches, nichts Überraschendes. Das Segeln haben wir aufgegeben, die Ketsch habe ich verkauft, aber wir spielen noch Tennis, und Priscilla hat mich sogar in einen Lesezirkel gehievt. Nicht in ihren natürlich, der ist nur für Damen, aber in eine Art Annex für die Männer, damit ich Schritt halten kann!
Alex hatte offenbar meine Ungeduld bemerkt, obwohl ich mir einbildete, ich hätte sie unterdrückt, und er sagte: Einen Moment noch! Nicht die Hoffnung aufgeben! Wirsind fast am Ende der alttestamentarischen Darstellung, nur ein entscheidendes Faktum fehlt noch. Ich bin überzeugt, dass Thomas trotz seiner Intelligenz und Sensibilität entweder nie gemerkt hat, wie Lucy und ich zueinander standen, als ich ihn mit ihr bekannt machte, oder, wenn er die Wahrheit ahnte, sie schnell so tief vergrub, dass er sie nie wieder sehen musste. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Lucy ihn nie über uns aufgeklärt hat, so wenig, wie sie ihm von dem Schweizer Kerl erzählte.
Ich fand es am besten, die Augenbrauen hochzuziehen und ihn ratlos auszusehen.
Richtig, von dem weißt du noch nichts, sagte Alex. Das kommt gleich. Aber erst noch einmal zurück zu dem, was ich eben angeschnitten habe. Ich glaube wirklich, dass sie ihm nie von uns erzählt hat, so gern sie ihn und mich auch auseinandergebracht hätte. Sie begriff, dass sie ihn dann mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Ehe treiben würde. Übrigens haben die Ereignisse, die dann folgten, meine Vermutung bestätigt, dass Thomas wahrscheinlich so reagieren würde, falls Hubert – das ist der Held aus der Schweiz – jemals wiederauftauchte. Mit Sicherheit hat sie davon geträumt, Thomas rauszuwerfen. Aber sich selbst ins Unrecht zu setzen und von ihm verlassen zu werden, das stand nicht auf dem Programm. Weil sie schwieg, blieben Thomas und ich enge Freunde. Wenn er in mir nicht einen älteren Bruder sah – das wäre ihm vielleicht zu anmaßend vorgekommen –, dann war ich wie ein junger Onkel für ihn, jemand, der ihn verstand und dem er traute. Du verstehst, was ich meine.
Das versicherte ich ihm, und es war die Wahrheit.
Danke, erwiderte er. Jetzt eine Auszeit, Pinkelpause. Möchtest du sie nutzen?
Ich schüttelte den Kopf.
Es ist auch Zeit für einen Whiskey. Scotch und Soda?
Ich sagte, ich nähme gern einen.
In Ordnung, sagte er, als er wiederkam, wegen der Radiotherapie, die ich für mein kleines Problem mit der Prostata brauchte, muss ich dauernd aufs Örtchen. Ah, da kommt der Whiskey, gerade zur rechten Zeit. Wieder ein Zeitsprung, wir sind im Jahr des Bruchs. Es war Anfang Mai, an einem Dienstag. Priscilla und ich hatten uns ein langes Wochenende in Newport gegönnt, und ich hatte beschlossen, den Lunch hier im Club ausfallen zu lassen und nur ein Sandwich am
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