Erinnerungen der Nacht
Aufmerksamkeit auf deine Person zu lenken. Du verhältst dich höflich, leise und unauffällig.“
Ihre Augen funkelten. „Und warum genau sollte ich mich auf diese Weise verstellen?“
Roland seufzte. Er wollte nur verhindern, dass Rogers oder einer wie er sie entdeckte. Warum musste sie so abweisend sein? „Weil ich dich darum gebeten habe, Rhiannon. Und weil es die klügste Vorgehensweise ist. Rogers ist weder dumm, noch ist er der einzige Agent in der Gegend. Jeder, der Jameys Identität kennt, dürfte genug wissen, dass er bei diesem Spiel nach ihm sucht.“
Zur Abwechslung ließ sie den Kopf einmal hängen, statt ihm trotzig das Kinn entgegenzustrecken. Sie nickte fast unmerklich, und Roland verspürte eine Mischung aus Erleichterung und Überraschung. Er war sicher gewesen, dass sie sich auf eine Diskussion mit ihm einlassen würde. Rhiannon zu beschützen, dachte er grimmig, dürfte ebenso schwierig werden, wie Jamey zu beschützen.
„Bereit?“, fragte Roland am folgenden Abend eine Stunde vor Beginn des Spiels. Er stand vor dem riesigen leeren Kamin im großen Saal. Rhiannon schloss die enorme Tür, deren Angeln quietschten, und kam über den kalten staubigen Steinboden zu ihm.
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin nicht sicher. Leider ist mir der Genuss eines Spiegelbilds versagt, damit ich mein Aussehen überprüfen kann.“
Er widerstand dem Wunsch zu lächeln. „Muss für eine so eitle Frau wie dich verdammt ärgerlich sein.“
Sie begegnete seinem Blick mit blitzenden Augen. „Stimmt genau. Du solltest mein Porträt malen, damit ich sehen kann, wie ich aussehe, wenn mir danach zumute ist.“
„Du weißt, dass ich das nicht mehr tue.“
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass du wieder anfängst.“ Sie sah sich um, und er wusste, sie spielte darauf an, dass absolut gar nichts die kahlen Mauern aus grauem Stein schmückte. Nur Fackeln waren an den Wänden befestigt, und hier und da ein Geweih von einem Tier, das sein Bruder getötet hatte. „Das Haus könnte es vertragen. Was ist eigentlich aus deinen Porträts deiner Familie geworden?“
Er schüttelte den Kopf. Dieses Thema war nicht Gegenstand von Gesprächen. Wenn die Gesichter aller, die er enttäuscht hatte, auf ihn herabsehen würden, wäre das mehr Qual, als er ertragen konnte. „Um deine erste Frage zu beantworten, Rhiannon, du siehst schön aus.“
„Das, teuerster Roland, ist keine Antwort.“ Sie stand vor ihm und stemmte die Hände in die Seiten. „Sieh mich an, Darling. Beschreibe mir, was du siehst. Ich habe es so satt, dass ich ständig ausgehen und mich fragen muss, ob alles an seinem Platz ist.“ Sie wartete einen Moment. Roland ließ den Blick über sie schweifen und konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Ich helfe dir“, bot sie ihm an. „Fang mit meinem Haar an. Sitzt es richtig?“
Sie drehte sich langsam, Roland nickte. „Es glänzt wie Satin, wie du sehr wohl weißt.“ Er begutachtete es in voller Länge. Sie trug es lang und frei von Spangen oder ähnlichem Zierrat. Und sie kämmte es vorteilhaft auf eine Seite, sodass man ihren Schwanenhals sehen konnte, der den Blick festhielt. Eine kleine seidige Locke hatte sie vom Scheitel bis zur Taille geflochten. Diese wirkte überaus bezaubernd und forderte einen geradezu auf, damit zu spielen.
Rhiannon bemerkte seinen Blick und hob das Zöpfchen mit zwei Fingern hoch. „Gefällt es dir?“
„Ja.“ Er benetzte die Lippen, dann beherrschte er sich wieder. „Ja, ausgezeichnet. Bist du jetzt fertig?“
„Du bist noch nicht fertig.“ Ihr Schmollen war durch und durch gespielt. Sie beugte sich vor. „Was ist mit der Bluse? Ist der Ausschnitt zu offenherzig?“
Gegen seinen Willen richtete er den Blick auf den Saum des smaragdgrünen Kleidungsstücks aus Satin und spürte ein Kribbeln im Magen. „Wann zeigst du einmal nicht zu viel?“, fragte er und bemühte sich um einen sarkastischen Tonfall.
Sie zuckte die Schultern, richtete sich auf und nahm eine andere Pose ein, diesmal mit den Händen an den Hüften. „Und der Rock? Findest du ihn zu kurz?“
Der Rock war eng und vorn geknöpft, und als wäre das noch nicht gewagt genug, hatte Rhiannon die beiden untersten Knöpfe offen gelassen. Der Saum berührte ihre Oberschenkel, die in Strümpfen aus Seide glänzten. Während sie sich erst auf die eine, dann auf die andere Seite drehte, richtete Roland den Blick auf ihre Beine. „Vielleicht ist es einfach so, dass deine Beine zu lang sind“,
Weitere Kostenlose Bücher