Erinnerungen der Nacht
sie an sich drückte. „Was, meinst du, will dieser Lucien mit Jamey anfangen? Er gehört nicht zum DPI.“
Eric schüttelte den Kopf.
„Er möchte Unsterblichkeit, Tamara“, sagte Rhiannon zu ihr. „Er möchte, dass ich ihn verwandle. Ich vermute, er möchte Jameys Leben als Druckmittel benutzen.“
Tamara verzog das Gesicht und drehte sich ganz in Erics Umarmung. Roland spürte, wie sich sein Magen in einem regelmäßigen Rhythmus verkrampfte. Er sehnte sich danach, Rhiannon ebenso zu umarmen. Doch er sagte sich, dass die Missstimmung zwischen ihnen gut war. So schlecht sie auch scheinen mochte. Sosehr er sich auch wünschte, er könnte die Kränkung ungeschehen machen. So war es besser.
„Er weiß, dass wir kommen“, sagte Rhiannon. „Für einen Menschen besitzt er ausgeprägte übersinnliche Fähigkeiten. Er wartet auf uns.“
„Zumindest wissen wir, dass er Jamey bis dahin am Leben lässt“, sagte Roland, der Tamara wenigstens ein kleines bisschen trösten wollte. Leider war er im Begriff, ihr sehr viel größeres Unbehagen zu bereiten.
„Tamara, ich muss dir etwas sagen. Über Jamey.“
Sie drehte sich stirnrunzelnd zu ihm um. „Was denn, Roland?“
Roland wich ihrem Blick aus. Vermutlich würde sie ihn dafür hassen. „Ich habe die Suche nach seinem leiblichen Vater veranlasst.“
Ihre Augen wurden groß. „Du … Aber warum? Ich verstehe nicht. Jamey braucht ihn nicht. Er hat uns.“
Roland schüttelte langsam den Kopf. „Ich mag ihn so sehr wie du, Tamara. Das weißt du. Aber wir müssen uns fragen, was das Beste für Jameson ist.“
„Dass er die Menschen verlässt, die er kennt und liebt? Dass er fortgeht und bei einem Fremden lebt? Glaubst du wirklich, das ist das Beste für ihn?“
Eric berührte ihr Gesicht und drehte es zu sich. „Tamara, lass ihn ausreden. Würdest du an Jameys Stelle deinen Vater nicht wenigstens kennen oder etwas über ihn erfahren wollen?“
Sie runzelte noch mehr die Stirn und schüttelte den Kopf. „Er hat seinen Sohn verlassen …“
„Er wusste ja gar nicht, dass der Junge existiert“, sagte Roland bedächtig. „Das hast du selbst gesagt. Er verdient es, die Wahrheit zu erfahren. Jamey verdient es, dass er alle Möglichkeiten kennt und selbst entscheidet.“
„Wenn du es satthast, dich um ihn zu kümmern, Roland, dann nehmen Eric und ich ihn!“
Rhiannon schüttelte langsam den Kopf. „Tamara, solange er bei uns ist, jagt ihn das DPI. Sie beobachten uns zu gründlich, und wir sind zu leicht aufzuspüren. In einer normalen Familie von Sterblichen würde der Junge so wenig auffallen wie jeder andere sterbliche Junge auch. Er wäre sicher.“
„Ich kann nicht glauben, was ihr da alle redet“, sagte Tamara kopfschüttelnd. „Besonders du, Eric. Wie kannst du dich so gegen mich stellen?“
Eric war sichtlich betroffen. „Nein, Tamara. Ich wollte doch nur …“
„Ich will nichts mehr hören!“ Sie befreite sich aus seinem Griff, lief durch die Scheune, ging durch eine kleine Seitentür hinaus und verschwand in die Nacht.
Eric stützte den Kopf auf die Hände. Roland kam sich vor, als würde er immer zum falschen Zeitpunkt das Falscheste sagen. „Tut mir leid, Eric. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so heftig reagieren würde.“
Eric schüttelte den Kopf. „Ist nicht deine Schuld, alter Freund. Mit der Zeit begreift sie schon, was richtig ist.“ Er sah wieder in die schwindende Nacht jenseits der Tür. „Ich gehe ihr besser nach.“
Gesagt, getan. Roland drehte sich zu Rhiannon um. „Glaubst du, dass ich richtig handle?“
Sie seufzte, entfernte sich von ihm und setzte sich auf das Heu. „Seit wann bittet der unerschütterliche und ehrenhafte Roland de Courtemanche um den Rat der tollkühnen und selbstzerstörerischen Rhiannon von Ägypten?“
„Ich möchte, dass wir Freunde bleiben, Rhiannon.“ Er kam durch die Scheune und setzte sich neben sie in das sauer riechende Heu. „Und auch wenn ich dich für tollkühn und selbstzerstörerisch halte, liegt mir etwas an deiner Meinung.“
„Wirklich?“ Ihre äußerst fein geschnittenen Augenbrauen schnellten nach oben.
„Du weißt, dass es so ist.“
Sie schniefte und reckte das Kinn hoch. „Dann interessiert es dich vielleicht, dass ich dich für den größten Narren halte, den die Welt je gesehen hat.“
Er runzelte die Stirn, betrachtete ihr makelloses Gesicht und sah noch einen Hauch von Traurigkeit in ihren Augen. „Warum?“
Sie sah ihn stechend an, als wollte sie
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