Erinnerungen der Nacht
Aufenthaltsort des Jungen. Der Brief ist an Curtis Rogers vom DPI adressiert. Mein Anwalt hat Anweisungen, ihn morgen Abend um Mitternacht an Rogers zu faxen.“
Rhiannon blinzelte, Luciens Grinsen wurde breiter.
„Andererseits, wenn du mich verwandelst, holde Rhiannon, ohne dass etwas schiefgeht, nenne ich dir den Aufenthaltsort des Jungen und lasse dir genügend Zeit, dass du vorher dort bist.“
Roland sah zum ersten Mal Unsicherheit in Rhiannons Augen. Sie unterbrach den Blickkontakt zu Lucien und schaute stattdessen zu Roland.
„Trau ihm nicht, Rhiannon. Nichts könnte ihn daran hindern, dich leer zu saugen. Du wärst sowieso geschwächt. Das weißt du.“
„Ein Risiko, das du eingehen musst, meine Teuerste, wenn du den Jungen wohlbehalten wiederhaben willst. Andererseits kannst du dich natürlich weigern und mit ansehen, wie er zum lebenden Forschungsgegenstand der skrupellosesten Wissenschaftler dieses Planeten wird.“ Er beugte sich noch weiter zu ihr. Sie wich nicht zurück. „Ich weiß, du hast am eigenen Leib erfahren, wie viel … Missvergnügen sie einem Lebewesen zufügen können.“
Tamara hielt den Atem an. Roland schloss die Augen. Was Rhiannon in jenem grässlichen Labor erlebt hatte, musste ihr bis auf den heutigen Tag Albträume verschaffen.
„Ich kann noch großzügiger sein“, sagte Lucien. „Du kannst darüber nachdenken. Komm morgen bei Sonnenuntergang wieder. Wenn wir uns einig werden, ziehen wir die Verwandlung durch und du kannst den Jungen holen, bevor das Fax rausgeht. Oder du kannst mich töten und versuchen, ihn selbst zu finden … und dir bis in alle Ewigkeit Vorwürfe machen, wenn du es nicht schaffst. Es ist deine Entscheidung!“
Rhiannon blinzelte langsam. „Anscheinend haben wir wirklich keine andere Wahl.“
„Eines noch, Rhiannon. Morgen Abend kommst du allein zu mir. Denen da traue ich nicht über den Weg. Du kommst allein, oder das Geschäft ist geplatzt.“
Roland war, als würde ihm ein Messer in die Brust gebohrt werden. „Auf gar keinen Fall“, sagte er mit leiser Stimme. „Das lasse ich nicht zu.“
Rhiannon tat so, als hätte er gar nichts gesagt. „Ich hoffe, die Zeit reicht, Lucien. Die Gabe der endlosen Nacht wird nicht so leicht weitergegeben, wie du zu glauben scheinst. Dazu gehört ein Ritual.“
Roland runzelte die Stirn und fragte sich, was sie da redete.
„Rituale sind mir gleichgültig. Ich will nur das Blut.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Na ja, wenn du nicht das gesamte Spektrum der Kräfte möchtest, könnten wir wohl auf die Meditation verzichten …“
Lucien runzelte die Stirn und leckte sich die Lippen. „Wie lange dauert denn dieses … Ritual?“
„Mehrere Stunden.“
Er legte den Kopf schief. „Du brauchst nicht mehr als dreißig Minuten, damit du vor Rogers bei dem Jungen bist.“
Rhiannon zog die Brauen hoch. Roland glaubte, dass er der Einzige war, der den Triumph in ihren Augen sah. „Dann haben wir genügend Zeit.“
„Rhiannon, das kannst du nicht machen“, rief Tamara.
„Ich muss, Kleines“, antwortete Rhiannon leise. „Denk an Jamey.“ Sie drehte sich um und warf Tamara einen stechenden Blick zu. „Denk an Jamey.“
Tamara wandte sich ab. „Ja … das mache ich.“
Rhiannon schleuderte das Haar über die Schultern, während sie mit einer geschmeidigen Bewegung aufstand. „Dann bis morgen Abend. Du weißt natürlich, dass du bis dahin fasten musst. Kein Essen, kein Trinken. Andernfalls überschreitest du die Schwelle nicht und wirst sterben.“
Roland runzelte wieder die Stirn. Das war vollkommener Mumpitz.
„Und du darfst heute Nacht nicht schlafen und morgen auch nicht“, fuhr sie fort und ging zur Tür. „Wenn die Umstände nicht exakt richtig sind, stirbst du. Hast du das verstanden?“
Warum erzählte sie solchen Blödsinn?
„Dir scheint viel am Leben des Mannes zu liegen, den du so sehr hasst, Rhiannon.“ In Luciens Stimme schwang ein Anflug von Misstrauen mit.
„Ich würde dich auf der Stelle töten, wenn ich könnte, Lucien. Um das Leben des Jungen mache ich mir Sorgen. Wenn du stirbst, bevor du mir sagen kannst, wo er ist, fällt er diesen Teufeln in die Hände. Und das kann ich nicht zulassen.“
Keith
12. KAPITEL
Vor Morgengrauen fanden sie einen Unterschlupf in einem leer stehenden Haus mehrere Meilen außerhalb des Dorfes. Rhiannon machte mit Trümmern der verrotteten Rollläden wagemutig ein Feuer in dem uralten Kanonenofen.
„Für jemanden, der so empfindlich
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