Erinnerungen der Nacht
gegen offenes Feuer ist, gehst du ein großes Risiko ein, Rhiannon. Der Kamin ist vermutlich in einem ebenso jämmerlichen Zustand wie das ganze Haus.“
Wie immer musste Roland ihr Vorwürfe machen. „Mach dir keine Sorgen. Ich komme nicht direkt mit den Flammen in Berührung. Und ich achte darauf, dass es erloschen ist, bevor wir uns zur Ruhe begeben.“
Eric und Tamara waren auf der Suche nach einer Ruhestätte in den Keller gegangen – und um ein wenig Zeit allein miteinander zu verbringen, dachte sie. Sie versuchte, ihrem Neid zu unterdrücken und sich auf praktischere Dinge zu konzentrieren. Offen gestanden wünschte sie sich, sie hätte eine große, behagliche Daunendecke mitgebracht, in die sie sich einwickeln konnte. Es war schon schlimm genug gewesen, dass sie in einem Heuhaufen voller Mehltau schlafen musste; in dieser Ruine würde es noch schlimmer sein.
„Rhiannon, es ist Zeit.“
Sie warf noch ein Stück Holz in das lodernde Feuer, hielt die Hände aber sorgfältig von den Flammen fern, schloss die Gusseisentür und wischte sich den Ruß von den Fingern. „Zeit?“
„Mir zu sagen, was du mit Lucien vorhast.“
„Damit du mir sagen kannst, wie närrisch und riskant es ist?“ Sie schüttelte rasch den Kopf, ging durch das Zimmer und begutachtete zaghaft das vorsintflutliche Sofa. „Nein, danke. Du, Eric und Tamara könnt nach Jamey suchen. Ich halte Lucien auf Trab … am Leben, aber auf Trab, bis ihr den Jungen gefunden habt.“
„Darum das Gerede von dem langen Ritual?“
Sie nickte. „Er will Macht. Ihn dürstet es so danach wie einen Trinker nach Alkohol. Wenn man etwas so sehr will, ist das eine Schwäche. Und diese Schwäche verwende ich gegen ihn. Wenn er glaubt, dass mein Ritual ihm mehr Kräfte verleiht, dann macht er mit.“
Sie schüttelte die fadenscheinigen Kissen mehrmals auf und hielt Ausschau, ob Insekten herausgekrochen kamen. Erst dann setzte sie sich.
Roland setzte sich an ihre Seite. „Und was sollte das, dass er nichts essen und trinken darf?“
Seine Schulter berührte ihre, so dicht saß er neben ihr. Er presste den Schenkel an ihren, versuchte aber nicht einmal, etwas daran zu ändern. Sie war sich nicht sicher, ob sie es sollte. Aber eigentlich wollte sie es gar nicht anders.
„Entzug von Nahrung und Schlaf schwächt den Geist. Das ist ein alter Trick, den alle erfolgreichen kulturellen Anführer ausnutzen. Ich wünschte nur, ich könnte ihn noch länger fasten lassen, bevor ich ihm entgegentrete.“
Sie rückte nicht weg. Wenn Roland die Nähe nicht störte, warum sollte sie sich dann freiwillig um dieses Vergnügen bringen?
„Das hört sich nach einem Kampf an.“
Sie lehnte sich seufzend gegen die graue Polsterung, die aus dem zerschlissenen Überzugmaterial quoll, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es wird auch eine Art Kampf. Ein mentaler Kampf.“ Sie machte die Augen zu und versuchte, den hastig entworfenen Plan klarer zu sehen. Sie wollte, dass es sich nach einer vernünftigen Vorgehensweise anhörte, wenn sie es Roland erklärte, nicht wie das Gestammel eines sorglosen, unvorsichtigen Kindes.
„Während Lucien meditiert, Roland, bearbeite ich seinen Verstand. Ich versetze ihn in eine Trance, wie ich das schon mit zahlreichen Menschen gemacht habe, wenn es die Situation erforderte. Ich bringe ihn völlig unter meine Kontrolle.“
Roland drehte sich halb um, sodass er sie ansehen konnte. Sie wich seinem Blick aus, doch das ließ er sich nicht gefallen. Er hielt ihr Kinn mit zwei Fingern und drehte sie zu sich. „Du weißt sehr genau, dass dieser Mann kein gewöhnlicher Mensch ist. Seine übersinnlichen Fähigkeiten sind stark. Er kann seinen Geist vor dir abschirmen.“ Gefühle funkelten in seinen Augen, doch sie glaubte nicht, dass es Zorn war. Er verkrampfte den Kiefer. Seine vollen Lippen wurden schmal.
„Er ist geschwächt und müde. Ich bin stark und auf den Kampf vorbereitet. Weihrauch und Kerzen werden ihn ablenken, aber meine Konzentration stärken.“
Er nahm die Hand von ihrem Kinn und legte sie ihr auf die Schulter. „Wenn das gelingt und du ihn unter deine Kontrolle bekommst, was dann?“
Sie kämpfte gegen den Wunsch, den Kopf schief zu legen und mit der Wange über seine Hand auf ihrer Schulter zu streichen. Es gelang ihr gerade noch. „Ich erkunde seinen Verstand und finde heraus, wo der Junge steckt. Diese Information leite ich dir und den anderen weiter, und ihr rettet ihn.“
„Bei dir hört sich das so
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