Erinnerungen der Nacht
seinem Freund um und ließ sich die ungestüme Umarmung gefallen. „Roland, was ist passiert? Wir waren krank vor Sorge.“
Seine Seele kam ihm so leer und trostlos vor, wie sich seine Worte anhören mussten. „Rogers. Er hat mich mit einem seiner Pfeile ausgeschaltet und draußen liegen lassen, damit die Sonne den Rest erledigt.“
„Und Rhiannon?“
Roland spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Er schloss die Augen. „Ich … ich weiß nicht.“
Eric packte Roland am Arm, und beide Männer näherten sich der Hütte. Eric stieß die Tür so heftig auf, dass sie gegen die Wand knallte, dann gingen sie beide in unterschiedliche Richtungen und durchsuchten das Innere nicht eben zimperlich.
In dem kleinen leeren Zimmer blieb Roland stehen und betrachtete schweren Herzens den Kreis der Kerzen um die Weihrauchschale herum. Der exotische Duft hing noch in der Luft. Dann sah er den blutigen kleinen Pfeil in einer Ecke auf dem Boden liegen. Mit einer vor Schmerz heiseren Stimme rief er nach Eric und zeigte ihm die Stelle. „Sie haben sie mitgenommen“, flüsterte er.
„Wir befreien sie.“
Roland nickte, dann sah er seinem Freund ins Gesicht. „Wo ist Tamara?“
„Die ist mit dem Jungen zum Schloss zurück, Roland. Sie sind außer Gefahr. Jamey wurde gestern Nacht plötzlich freigelassen. Die wollten ihn gar nicht, sie wollten nur Rhiannon. Als sie sie hatten, ließen sie ihn gehen. Sie werden sie als Köder benutzen, um den Rest von uns auch noch anzulocken.“
Roland nickte. Diese Erklärung ergab Sinn.
„Ich hätte dir geholfen, Roland, aber Jameson wurde einfach in einem Wald ausgesetzt und sich selbst überlassen. Wir haben fast die ganze Nacht nach ihm gesucht, und ich hatte keine Ahnung, was hier oben geschehen ist … ich glaube aber, Tamara schon.“
Roland sah ihn verblüfft an. „Wie das?“
Eric zuckte mit den Schultern. „Sie hat etwas von Rhiannon gehört … das hat uns überhaupt erst in dieses spezielle Waldstück geführt. Danach hörte sie nichts mehr. Sie hat immer wieder gesagt, dass etwas nicht stimmt, wusste aber nicht, was.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hatte solche Angst um dich, Roland. Wie konntest du der Sonne mit diesem Betäubungsmittel im Blut nur entkommen?“
Roland dachte wieder an den Wolf, an das Wissen in den Augen des Tieres. „Ich bin nicht sicher.“ Er schüttelte sich. „Spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Wir müssen Rhiannon finden.“
Die Wirkung der Droge ließ nach und ging nahtlos in den Tagesschlaf über. Dazwischen kam Rhiannon nur ganz kurz einmal zu sich. Sie sah sich auf eine benommene, umnachtete Weise um und erkannte, dass sie sich an einem kalten Ort ohne Fenster, Türen oder Lichtquelle befand. Sie saß auf einem harten kalten Boden und hatte eine weitere kalte Fläche im Rücken. Wenn sie Arme oder Beine bewegte, konnte sie Metall auf Metall klirren hören.
Danach schlief sie wieder, daher dachte sie sich, dass es Tag sein musste. Als der Schlaf zu Ende ging, war es Nacht. Oder nicht? Denn normalerweise begleitete ein Strom frischer Energie und ein unternehmungslustiges Kribbeln in allen Nervenenden den Sonnenuntergang. Die Nacht brachte Stärke und Macht.
Aber warum fühlte sie sich dann, als wären ihre Gliedmaßen aus Blei und ihr Kopf mit feuchter Baumwolle vollgestopft?
Luciens lasziv grinsendes Gesicht ragte über ihr auf. „Keine Bange, Rhiannon. Du fühlst dich nur wegen Curtis Rogers’ praktischer kleiner Droge so schwach. Ich habe dir kurz vor Sonnenuntergang eine halbe Dosis gegeben. Das war offenbar ausreichend.“
Langsam funktionierte ihr Gehirn wieder. Sie spürte die klamme Kälte abgestandener Luft um sich herum und nahm den Gestank von Brackwasser und Nagetierkot wahr. „Rogers … sagte, er würde Ihnen die Droge … niemals geben.“
„Diesbezüglich hatte Rogers keine andere Wahl. Hast du wirklich geglaubt, ich würde zulassen, dass er dich in ein steriles Labor unter militärischer Bewachung schleppt, bevor ich bekommen habe, was ich von dir will?“ Er lachte kehlig und schüttelte den Kopf. „Der hatte ebenso wenig vor, das Versprechen zu halten, das er mir gegeben hatte, wie du.“
Schwach und matt richtete sich Rhiannon auf und stellte fest, dass Fesseln aus Eisen, die mit Ketten an Wänden aus Stein befestigt waren, ihre Knöchel festhielten. Die Handgelenke waren ebenso gefesselt, nur mit etwas längeren Ketten. Sie drehte den Kopf auf die eine, dann auf die andere Seite und prüfte die
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