Erlebnisse eines Erdenbummlers
merkte man nichts mehr von der überstandenen Kolik. Er lief, wie immer, die Wegstunde in fünfzehn Minuten. Dies mit Wohlgefallen bemerkend, dachte ich mir: ›Was will der Tierarzt nur mit seiner schlechten Prognose. Der Gaul ist frisch wie ein Fohlen. Sprecht einem nur das Leben ab, und er wird älter als alle Erz- und Holzväter zusammen!‹ Nicht um tausend Gulden und die Haut einer Leberwurst wollt' ich diesen Renner umtauschen, und ich hielt vorm Hause eines meiner Patienten still und band die Zügel an einen Gartenzaun. Als ich aber vom Krankenbette wiederkam, was sah ich da? Es war ein schmerzlicher Anblick. Vor meinem Chaischen lag das Pferd und die Scherendeichsel war zusammengebrochen.
Der gleiche Vorgang wiederholte sich von jetzt ab noch verschiedene Male, und da ich nicht immer Hebebäume mit mir führen konnte, um den Schlafkoller aufzurichten, so entschloß ich mich, den Genossen meiner Leiden und Freuden an den Wasenmeister zu verkaufen,daß er verlocht werde und nicht etwa einem meiner Mitmenschen zu einem Darmgrimmen verhelfe, weder als Sauerbraten noch als Salamiwurst.
Nun war der Stall leer und die Frage entstand, ob ich dem Verstorbenen einen Nachfolger geben oder warten solle, bis Herr Benz von Mannheim einen Wagen zustande gebracht hätte, der von selber lief. An zähen Versuchen ließ es der gute Mann nicht fehlen, und es wird wenig von meinen Weinheimer Zeitgenossen geben, die nicht ein oder das andere Mal unter dem Halloh des Janhagels geschoben hätten, wenn der unermüdliche Erfinder mit dem klapperdürren Skelette seines phantastischen Vehikels nicht weiterkam.
Zum Glück für mich hatte damals das Fahrrad bereits eine Form angenommen, die sein Besteigen möglich machte, ohne daß man über den Tod von Basel mitsamt seiner Sense wegmußte. Ich kaufte mir also ein Niederrad und machte mich daran, die damals noch seltene Kunst zu erlernen. Meine Versuche haben einen Metzgerhund kreuzlahm gemacht und etwelchem Federvieh das Lebenslicht ausgeblasen. Aber ich ließ nicht nach, bis ich unabhängig war von der irdischen Schwerkraft und dem Gesetz der Trägheit. Nein, wie ich mich damals erhaben fühlte, als der Radfahrer noch keine Proletariererscheinung war, sondern so gleichsam ein von allen Hunden angekläffter Himmelsgast, der die Erdenkugel perquasi nur tangential berührte. Entfernungen gab's fast nicht mehr, und da das Stahlroß keinen Hafer fraß, so war es billig zu halten. Einen Nachteil hattees freilich. Man war mit ihm an die Landstraße gebunden und leider auch an ihren Staub. Vorbei waren die poetischen Träume jener Nächte, wo mein gutes Roß mich über mondbeschienene Bergesrücken getragen hatte und hinein in den Nachtigallenschlag junggrüner Buchenhaine, in denen Nixen gängelten und des Erlenkönigs holdselige Töchterlein mit ihren Schleiern das Gebüsch umrauschten. Ach ich fürchte, ich fürchte, das Automobil gar wird unsere Poeten überfahren oder ihre Machwerke mindestens nach Benzin stinken lassen.
An mir selber merkte ich, daß ich trotz aller Zeitersparnis des modernen Fuhrwerks zu einer stillen Einkehr in mich selbst keine Zeit mehr hatte. Freilich die Krankenkassen sorgten auch dafür, daß man ausreichend beschäftigt war. Um einen Schwindsüchtigen in ein Sanatorium zu bringen, mußte man ein Aktenfaszikel schreiben so dick wie eine Käskiste, und die Krankenzettel wurden endlos wie die Streifen einer chinesischen Gebetmühle. O hehrer Genuß und Himmelswonne, wenn sie, die Drückeberger Freitags angerückt kamen mit erlogenen Schmerzen, um ihre Scheine ausfüllen zu lassen, und aus dem Sprechzimmer gingen mit der Gewißheit, daß das Beschummeln eines Arztes leichter sei als das Verrücken eines Uhrzeigers. Aber was machen? Der Fuchs hatte den Hals in der Schlinge, und ohne daß er sich selber den Kopf abbiß, kam er nicht wieder frei. Also man schrieb, schrieb gegen seine innere Überzeugung und sein besseres Wissen und hatte keine andere Rechtfertigung vor Gott und sich selber als die, daß es die Kollegen gerade so machten.Wollte man sich eine Erholung gönnen, so träumte man sich hinaus aus dieser schlechtesten aller Welten oder wandelte nach dem Bahnhof, um die Fahrpläne zu studieren, die einem mit einem Schlage Beziehungen gaben zu neuen Welten.
Als ich wieder einmal im Wartesaal stand, das Auge starr auf eine Reklametafel der Circumaetnea geheftet, klopfte mir von hinten jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und erkannte, trotz dem
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