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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Fakultät durch Ägypten geführt; in Tübingen wohnen sie auf unserem Hügel gleich um die Ecke. Professor Brunner findet meinen Plan sinnvoll und ermutigt mich, mit den betreffenden Kollegen der Religionswissenschaft Kontakt aufzunehmen.
    Schlüsselfigur für dieses Dialogunternehmen ist für mich Professor JOSEF VAN ESS , ein »Stern erster Größe« in der Islamkunde. Wie ich später von kundigen Muslimen bestätigt bekomme, ist er der weltweit führende Erforscher der klassischen islamischen Theologie. Er arbeitet an einer sechsbändigen Geschichte des religiösen Denkens im Islam, die er in Kürze zu veröffentlichen gedenkt unter dem Titel »Theologie und Gesellschaft im 2./3. Jahrhundert Hidschra« (Berlin 1991   –   97). Doch ist mir bekannt, dass es van Ess vor Kurzem abgelehnt hat, einen Beitrag zu einer Islamnummer der »Theologischen Quartalschrift« beizusteuern, die von den Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät, der ich jetzt freilich nicht mehr angehöre, herausgegeben wird.
    Kurzerhand rufe ich meinen Kollegen van Ess an, erkläre ihm mein Projekt und frage ihn, ob er Zeit und Lust habe zu vier Dialogvorlesungen über den Islam im Studium generale. Seine Antwort kommt prompt: »Mit Ihnen mache ich das!« Damit war zu meiner Erleichterung und Freude die Basis gelegt, um auch mit dem Tübinger Indologen Professor HEINRICH VON STIETENCRON und dem Göttinger Buddhologen Professor HEINZ BECHERT (Tübingen verfügt über keine eigene Buddhologie) Gespräche zu führen; aber darüber später.
    Es ist mir klar, dass diese Dialoge mit den drei Fachgelehrten höchste Ansprüche an mich als christlichen Partner stellen werden. Und zugleich gestehe ich, wenig Ahnung zu haben, wie ich auf alle mir gestellten Fragen antworten soll. Und dies angesichts eines zweifellos kritischen, zumeist akademisch gebildeten Publikums, das ebenso überzeugte Christen wie Gläubige anderer Religionen, aber auch Nicht-Religiöse sowie allerlei Neugierige und Sinnsuchende umfassen wird. Wie allen gleichzeitig gerecht werden?
    Doch erfreulicherweise fehlt mir ein gesundes theologisches Selbstbewusstsein keineswegs. Es gründet in einem bereits 35 Jahre lang geübten kritischen und selbstkritischen Studieren; ich hatte meine »Hausaufgaben« in christlicher Theologie gemacht, und da dürfte mir doch, so hoffe ich, etwas einfallen zu den auftretenden Fragen.
    Mit Selbstbewusstsein muss sich aber die fachliche Bescheidenheit paaren, die weiß, was sie nicht weiß. Ich werde meine Fachkollegen nicht über ihre Materie belehren wollen, sondern darf mich darauf verlassen, dass sie als Gelehrte von Format sich in den meisten Fragen ihres Faches unendlich viel besser auskennen, als ich dies je erreichen könnte. So weiß ich denn, dass mir vor und in diesem Sommersemester 1982 geistige Schwerstarbeit bevorsteht. Doch freue ich mich darauf. Habe ich doch die unvergleichliche Chance, noch einmal von Grund auf neu zu lernen, was es ist um Ursprung und Wesen, Glaubensinhalte und Glaubenspraxis der verschiedenen Religionen. Dies wird mir eine solide Basis sein für kommende schwierigere Dialoge mit Angehörigen der anderen Religionen. In Amerika werde ich meine Antworten auf Englisch ausarbeiten und vortragen können.
    Die Vorlesungen werden leicht überarbeitet in unserem Band »Christentum und Weltreligionen« (München 1984) veröffentlicht, manche aber für die einzelnen Religionen auch als Taschenbücher, die wiederum in andere Sprachen übersetzt werden. Wer am meisten aus dem ganzen Dialog gelernt hat, bin ich selber. Ich brauche für die Vorbereitung meiner Antworten stets meine ganze Zeit und habe alles noch durch persönliche Gespräche vertieft.
    Es fehlten jetzt außer dem Judentum nur noch die chinesischen Religionen. Und dies hole ich nach mit meiner Freundin, der namhaften chinesischen Religionswissenschaftlerin Professor JULIA CHING aus Schanghai von der University of Toronto, die ich schon im August 1971 auf meiner zweiten Weltreise in der australischen Hauptstadt Canberra kennen und hoch schätzen gelernt hatte und mit der ich von da an verbunden blieb (Bd. 2, Kap. V: Bei den Antipoden). Mit ihr war ich 1978 in Peking, hielt dort meinen ersten Vortrag an der kommunistischen Akademie der Sozialwissenschaften und besuchte zum ersten Mal den Geburtsort des Konfuzius, Qufu (Bd. 2, Kap. X: China nach Mao). Von der Reise quer durch China bis Tibet, mit Julia und ihrem Mann, Professor Willard Oxtoby, wird noch

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